Die gemeinsame Jungenaufzucht und erhöhte Toleranz gegenüber Artgenossen (im Bild Elstern) machen Rabenvögel großzügig.

Foto: Lisa Horn

Auch unter den bekanntlich schlauen Rabenvögeln gibt es so etwas wie Großzügigkeit – zumindest unter bestimmten Umständen: Wie ein Team um Wiener Forscher herausfand, sind die Vögel besonders spendabel, wenn sie Jungvögel gemeinschaftlich aufziehen oder auf engem Raum zusammenleben und daher einander mit Toleranz begegnen müssen.

Raben, Krähen, Elstern und ihre Verwandten sind für ihre außergewöhnliche Intelligenz bekannt, die es ihnen erlaubt, komplexe Probleme zu lösen, Werkzeug zu gebrauchen oder ihre Artgenossen auszutricksen. Durch eine andere Fähigkeit, die wir bei unseren Mitmenschen schätzen, zeichnen sie sich allerdings normalerweise nicht aus: durch Großzügigkeit. Nur bei ganz wenigen Arten aus der Gruppe der Rabenvögel konnte bisher großzügiges Verhalten experimentell nachgewiesen werden, während zum Beispiel unsere heimischen Raben in mehreren verschiedenen Versuchen hauptsächlich egoistische Zügen an den Tag legten.

Das internationale Forschungsteam um Lisa Horn vom Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie an der Universität Wien hat jedoch jetzt gemeinsam mit Jorg Massen von der Universität Utrecht gezeigt, dass das Sozialleben der Rabenvögel dafür ausschlaggebend ist, ob die Tiere auch anderen etwas zukommen lassen oder nicht. Der Blick auf die Großzügigkeit der Rabenvögeln macht dabei auch Parallelen zur menschlichen Evolution sichtbar.

Zwei Hypothesen

"Spontane Großzügigkeit, ohne dafür immer gleich eine Gegenleistung zu erwarten, ist ein Eckpfeiler der menschlichen Gesellschaft, dessen evolutionäre Grundlagen bis heute nicht vollends geklärt sind. Eine Hypothese hierzu besagt, dass das gemeinschaftliche Aufziehen der Kinder beim frühen Menschen zur Entwicklung dieser Tendenz, anderen bereitwillig etwas zukommen zu lassen, beigetragen hat", sagt Horn, Erstautorin der im Fachjournal "eLife" veröffentlichen Studie.

"Eine andere Hypothese hingegen spekuliert, dass erst eine erhöhte Toleranz gegenüber Gruppenmitgliedern und ein reduziertes Aggressionsniveau eine solche Großzügigkeit möglich gemacht haben. Während man Belege für beide Hypothesen auch bei anderen, nicht-menschlichen Primaten findet, fehlten bis jetzt allerdings Ergebnisse von anderen Tiergruppen", so die Forscherin.

Aus diesem Grund testeten Horn und ihre KollegInnen großzügiges Verhalten bei einer Reihe verschiedener Rabenvogelarten. Manche dieser Arten ziehen ihren Nachwuchs gemeinschaftlich auf, während andere das nicht tun. Ebenso nisten manche der getesteten Arten auf engen Raum mit ihren Artgenossen, was für ihre große Toleranz spricht, während andere ihre Territorien argwöhnisch gegen Artgenossen verteidigen.

Futter für die anderen

Im Experiment konnten die Vögel durch das Landen auf einer Sitzstange einen Wippenmechanismus auslösen, der Futter in Reichweite ihrer Gruppenmitglieder brachte. Wenn sie jedoch selbst versuchen wollten, an das Futter zu gelangen, mussten sie die Sitzstange verlassen, wodurch sich die Wippe zurückbewegte und das Futter wieder außerhalb ihrer Reichweite war. Da die Vögel dadurch selbst nie an das Futter gelangen konnten, argumentierten die Wissenschafter, dass nur jene Tiere über alle Versuchsrunden hinweg Futter für die anderen Gruppenmitglieder lieferten, die tatsächlich großzügig waren.

Es zeigte sich, dass das vor allem bei jenen Rabenvogelarten der Fall war, die ihre Jungen gemeinschaftlich aufziehen. Unter den männlichen Tieren ließ sich aber auch die Hypothese belegen, dass Toleranz gegenüber Artgenossen wichtig für das Entstehen von großzügigem Verhalten ist. Die Männchen jener Arten, die auf engem Raum mit ihren Artgenossen nisten, zeigten sich gegenüber den Gruppenmitgliedern besonders großzügig. Diese Ergebnisse scheinen die Hypothesen zu bekräftigen, dass die gemeinschaftliche Jungenaufzucht und auch eine verstärkte Toleranz das Auftreten von großzügigen Tendenzen nicht nur beim Menschen, sondern auch bei anderen Tierarten gefördert haben.

Parallele evolutionäre Mechanismen

"Mich fasziniert besonders, dass auch bei Tieren, die sich so sehr von uns Menschen unterscheiden, anscheinend ganz ähnliche evolutionäre Mechanismen zur Entstehung von großzügigem Verhalten beigetragen haben, wie bei unseren menschlichen Vorfahren", sagt Horn. Zur weiteren Untersuchung dieser Zusammenhänge braucht es in Zukunft allerdings auch mehr Versuche mit anderen Vögeln, etwa den ebenfalls sehr intelligenten Papageien, oder ganz anderen Tierarten. (red, 23.10.2020)