Foto: KitzSki / Thomas Liner

Es war erwartet worden und trifft die Tourismusbranche doch ins Mark. Deutschland hat angekündigt, nach Wien, Vorarlberg und Tirol auch alle anderen Bundesländer mit Ausnahme von Kärnten ab Samstag auf die rote Liste zu setzen. Auch die Niederlande weiten ihre Reisewarnung aus. Nur noch Kärnten, die Steiermark und das Burgenland werden als unproblematisch gesehen.

"Die Reisewarnungen sind eine Katastrophe für den Tourismus. Wenn sie so bestehen bleiben und die Leute nicht aus Deutschland nach Tirol oder Salzburg fahren, können wir jede zweite Gästenächtigung vergessen", sagt der Tourismusexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Oliver Fritz. Sollten auch holländische Gäste wegbleiben, die zweitgrößte Gästegruppe nach den Deutschen im Winter, könnten fast zwei Drittel der Urlauber fehlen.

Ischgl hängt nach

Selbst wenn die Infektionszahlen sinken und die Reisewarnungen vor Weihnachten aufgehoben würden, sei die Situation für die Branche mehr als schwierig. "Für Urlauber bleibt die Ungewissheit, ob die Reisewarnung nicht wieder kommt. Die Ereignisse in Ischgl und das Missmanagement bei der Abreise sind vielen noch präsent", sagt Fritz.

Anders als im Sommer lasse sich die Lücke im Winter mit Inlandstouristen nicht ansatzweise schließen. "Wer in den vergangenen Jahren nicht Ski fahren war, wird das heuer auch nicht machen. Und nur wenige werden sich entscheiden, Ski zu fahren, weil sie nicht nach Mallorca können. Außerdem haben auch Inländer Angst, sich anzustecken. Ohne rasche Hilfsmaßnahmen seitens der Regierung werden viele Tourismusbetriebe die Krise nicht überleben. Stadthotels in Wien sowieso nicht, wahrscheinlich aber auch Hotels in anderen Regionen nicht."

Was sich ändert

Für Menschen, die aus Risikogebieten nach Deutschland einreisen, gilt derzeit eine 14-tägige Quarantänepflicht. Diese kann derzeit durch einen negativen Corona-Test verkürzt werden. Ab 8. November gibt es andere Regeln: Dann gilt eine zehntägige Quarantäne, und man wird sich erst am fünften Tag "frei-testen" lassen können.

Die Niederlande schreiben bei der Einreise bzw. Rückkehr aus "orangen" Gebieten eine zehntägige Heimquarantäne vor, die auch nicht mit einem negativen PCR-Test vor oder nach Ankunft in den Niederlanden aufgehoben werden kann. Transitreisende sind von der Quarantänepflicht ausgenommen. Allerdings gilt bereits ein Stopp zum Tanken oder ein Gang aufs Raststätten-WC als Aufenthalt in dem Risikogebiet.

Mit großer Sorge reagierte vor allem die Tourismusbranche auf die jüngsten Entwicklungen, DER STANDARD hat sich bei Experten umgehört.

Nur schärfere Maßnahmen würden wirken

Auf die Frage, ob der Wintertourismus 2020/21 noch zu retten ist, hat der Simulationsforscher Nikolas Popper keine ganz eindeutige Antwort. Offensichtlich ist für ihn, dass etwa deutsche und andere internationale Gäste wegen der Reisewarnung aufgrund der relativ hohen Infektionszahlen in Österreich wohl ausbleiben werden. Für Popper ist es mit den aktuellen Maßnahmen, die nur ein rasches weiteres Ansteigen der Infektionszahlen verhindern, aus heutiger Sicht in einigen Regionen schwierig bis unmöglich, auf unter 50 Fälle pro 100.000 zu kommen.

Simulationsforscher Niki Popper fürchtet weiter steigende Infektionszahlen.
Foto: APA / Georg Hochmut

Aber besteht denn in Österreich gar keine Chance mehr, von "rot" wieder auf "grün" geschaltet zu werden? Das könnten nur stärkere Maßnahmen leisten, sagt Popper, der die Bedeutung des Tracens und Testens betont, aber auch regionale Optionen sieht: "Laut unseren neuen Modellrechnungen für Bundesländer wäre eine Variante, auf Bezirksebene mit einem 14-tägigen Quasi-Lockdown inklusive Schulschließungen und verpflichtendem Homeoffice die Zahlen wieder deutlich nach unten zu bringen." Voraussetzung für den Erfolg sei aber, dass diese Maßnahmen von der Bevölkerung verbindlich mitgetragen werden.

Wieder entgleist

Der Tropen- und Reisemediziner Herwig Kollaritsch äußert sich hinsichtlich des heimischen Wintertourismus eher besorgt. Allerdings räumt er ein, dass bis Saisonbeginn noch etwas Zeit bleibt, um die Entwicklungen besser in den Griff zu bekommen. "Üblicherweise sprechen wir Mitte Oktober noch nicht vom Wintertourismus, es kann sich also noch etwas ändern", sagt er. Gelinge das, sei ein "Wintertourismus light" durchaus vorstellbar. Stiegen die Infektionszahlen aber weiterhin rasant an, gebe es bald "echte Probleme".

Herwig Kollaritsch kann sich einen "Wintertourismus light" vorstellen.
Foto: APA

Denn: "Gerade im Winter befinden wir uns in einer epidemiologisch ungünstigen Situation", betont der Experte und gibt zu bedenken, dass die Bevölkerung das in den letzten Monaten nicht ernst genug genommen hat. "Wir hatten es im Griff, und jetzt entgleist es uns wieder", sagt Kollaritsch. Seiner Ansicht nach wäre ein Nachjustieren notwendig gewesen. "Aber das haben wir nicht", erklärt er. Da die Cluster diesmal in Familien und nicht unter Reiserückkehrern zu finden seien, könne man die Zahl diesmal nicht wieder so stark reduzieren wie im Sommer. Kollaritsch: "Wichtig ist vor allem, dass wir das Contact-Tracing nicht an die Wand fahren, so wie in Tschechien. Denn das wäre verheerend. Jeder Einzelne ist gefordert."

Etwas Neues entwickeln

Der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter hat vor der Eröffnung der Skisaison mit einigen Verantwortlichen in Wintersportorten Kontakt gehabt. Er hat sie dabei beraten, wie man das Touristenaufkommen etwa beim Anstellen oder in Seilbahnkabinen möglich so organisiert, dass es zu keinen Ansteckungen kommt. Umso schockierter war er, als er am Mittwoch die Bilder und Filme von den Gletscherbahnen Kaprun sah: "Das hat vielen dieser guten Bemühungen und damit auch dem Wintertourismus in der Außenwirkung sehr geschadet", sagt Hutter.

Hans-Peter Hutter plädiert dafür, die Zeit zu nützen, um nachhaltige Konzepte für den Wintertourismus zu überlegen.

Er versucht, der absehbaren Krise doch noch etwas Positives abzugewinnen: Vielleicht könnte man diesen Winter dafür nützen, sich anstelle des bisherigen Après-Ski, das in Corona-Zeiten ohnehin undenkbar ist, ganz neue Konzepte zu überlegen. Der sportbegeisterte Umweltmediziner hält jedenfalls wenig vom "Ballermann in den Alpen".

Damit sei zwar schnell viel Umsatz zu machen, aber nachhaltig sei das ganz gewiss nicht. "Vielleicht sollte dafür zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt werden, um jetzt für die Zeit nach der Krise etwas wirklich Neues und Zukunftsweisendes zu entwickeln." (Julia Palmai, Günther Strobl, Klaus Taschwer, Gianluca Wallisch, 23.10.2020)