"Eigentlich ist das Buch eine verkleidete Anthologie. Es war mir wichtig, dass man die Originaltexte lesen kann und die Originalsprache auch sieht", sagt Schriftsteller Clemens J. Setz.

Foto: Heribert Corn

Am Abend soll Clemens Setz in Linz lesen, er ist wegen der Corona-Zahlen also etwas nervös. Denn erstmals ist die Statistik der positiv getesteten Österreicher auf über 2000 am Tag gestiegen. Aber was heißt das, eine Zahl sei "beunruhigend"? Was sagt ein "Rekord" aus? In einer Zeit wie jetzt gerade, wo alle auf dieselben Statistiken starren, müsse man gedanklich jedenfalls mal gegensteuern und etwa Aramäisch lernen. Damit wären wir beim Anlass des Treffens: In einer persönlichen Krise hat der Autor 2015 begonnen, sich stark mit Plansprachen wie Esperanto zu befassen. Kommende Woche erscheint das daraus entstandene Buch Die Bienen und das Unsichtbare.

STANDARD: Wie sind Sie auf diese konstruierten Sprachen gekommen?

Setz: Mich und meine Bücher bedenkt man manchmal mit Adjektiven wie nerdig. Vergleichbar wird über Plansprachen gesagt, sie seien ohne Anschluss ans saftige, erdige Treiben der Menschheit. Dieser Vorwurf an jemanden wie mich mit vielen Partikularinteressen wie auch gegen Plansprachen ist niederträchtig und falsch. Auch diese Fantasiesprachen haben Anknüpfungspunkte an extrem menschliche Erfahrungen. Nur deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Es steckt voller Geschichten, deren Zutaten abstrakt sein mögen, doch der Schmerz ihrer Protagonisten ist sehr real.

STANDARD: Zum Beispiel?

Setz: 1979 erfand der damals 14-jährige Robert Ben Madison nach dem Tod seiner Mutter eine Mikronation mit der sehr komplexen Sprache Talossa. Die Anhängerzahl wuchs, Pateien wurden gegründet, Zeitungen erschienen – und dann wurde ihm all das von Wahnsinnigen im Internet gestohlen, er als König gestürzt. Jetzt ist er erwachsen und will nur wieder zu dem Reich dazugehören.

STANDARD: Plansprachen eint eine weltumspannende Idee, aber sie wurden oft von Außenseitern und Leuten in Not erfunden. Was sagt das aus?

Setz: Dass unser Kommunikationsbedürfnis stark ist, dass zu kommunizieren für viele aber wegen körperlicher, psychischer, gesellschaftlicher Behinderungen sehr schwer ist. Plansprachen wie Blissymbolics wirken wie ein Befreiungszauber aus dieser Verwunschenheit.

STANDARD: Welche sprechen Sie?

Setz: Nur Esperanto, denn darin wollte ich unbedingt einen Roman lesen können – senvortare, also ohne Wörterbuch. Volapük habe ich gelernt, aber man kann es schlecht üben ohne jemanden, der es auch spricht. Blissymbolics konnte ich einmal gut, ich habe aber kein gutes visuelles Gedächtnis. Toki Pona ist einfacher, das lernt man an einem Nachmittag, es gibt 120 Begriffe, mit deren Kombination man alles ausdrücken muss. Man kann so aber kaum alltägliche Dinge verhandeln.

STANDARD: Gibt es Plansprachen, die Vorbild sein könnten, was Gendergerechtigkeit oder Rassismus angeht?

Setz: Láadan ist eine feministische Idee. Sie ist ein Meisterstück in Neologismen, sehr psychologisch und inspiriert aus dem Leben von Frauen. Da gibt es etwa ein Wort für einen Tag, der ein Feiertag sein soll, tatsächlich aber aufgrund der vielen Vorbereitung eine Last darstellt: "radíidin". Das wäre ausbaufähig. Im Esperanto hingegen gibt es einfach änderbare Strukturen. Für Esperantisten war es etwa kein Problem, das geschlechtslose Pronomen "ri" einzuführen. Ihr´Denken scheint freier.

STANDARD: Bei den Lojbanisten gibt es keine Metaphern, also auch keine Worte wie "Flüchtlingswelle" ...

Setz: Propaganda und Ideologiebesessenheit drücken sich oft durch uneigentliches, vages Sprechen aus, wie Victor Klemperer anhand des Nazireiches gezeigt hat. Plansprachen haben sich oft Eindeutigkeit zum Ziel gesetzt. Insofern wäre Lojban vielleicht ein gutes Gegengift.

STANDARD: Keine hat es aber bisher geschafft, sich breit durchzusetzen.

Setz: Es gibt viele Möglichkeiten, wie man eine Plansprache mit dem Todesvirus infiziert. Wenn ich etwa einen Roman auf Klingonisch aus Star Trek schreiben wollte, müsst ich Lizenzgebühren zahlen, da die Sprache dem Erfinder Marc Okrand gehört. Man sollte ihn enteignen.

STANDARD: Spracherfindungen bis zum Nonsens interessieren viele Autoren: H. C. Artmann, Ernst Jandl, Sie ...

Setz: Nonsens ist die wichtigste Zutat von Subversion. Man sieht an ihm letztlich, wie künstlich Sprache eigentlich ist. Ich bin generell offen für Innovation von außen. Die wird einem heute ja auch politisch und ideologisch nähergelegt. Jede Neuerung kann man natürlich nicht übernehmen, dann wäre man wesenlos und weich, mich interessiert aber immer, was etwas kann. Und ich habe noch nichts entdeckt, was gar nichts kann, egal ob Twitter-Sprech oder die geschlechtslosen Endungen -ir oder -x. Es gibt Autoren, die veröffentlichen mit 25 Jahren ein Buch, und dann bleibt ihre Sprache so. Da würde ich ersticken. Der Literaturbetrieb hat aber oft etwas Freudloses an sich und ist nicht an völlig neuen Dingen interessiert. (Michael Wurmitzer, 23.10.2020)