Die ÖVP begreift Politik immer noch in erster Linie als Parteipolitik, bei der man die anderen ausbremst und übervorteilt, sie aber nicht mitnimmt oder gar mit ihnen teilt. Das mag den politischen Beobachter nicht rasend überraschen, es verblüfft angesichts der Bedrohung, der wir uns in der Corona-Pandemie ausgesetzt sehen, aber doch. Mit mehr als aktuell 2400 Infektionen binnen 24 Stunden haben wir einen neuen Rekordwert, der alle Alarmglocken zum Schrillen bringen müsste. Bei uns hingegen: Business as usual und Ellbogen raus. Den Entwurf zur neuen Corona-Verordnung, der im grünen Gesundheitsministerium erarbeitet wurde, reichte das türkise Finanzministerium, das zwecks Koordinierung eingebunden war, an alle ÖVP-geführten Bundesländer weiter, lässt die roten Landeshauptleute aber dumm sterben. Als ob sie das nichts anginge.

Bundeskanzler Sebastian Kurz unternimmt wenig, um die Bundesländer an Bord zu holen.
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Kärnten, Wien und das Burgenland werden aufgrund der politischen Konstellation offenbar als Feindesland angesehen, da mag die Bedrohung von außen noch so groß sein.

Bundeskanzler Sebastian Kurz unternimmt wenig, um die Bundesländer an Bord zu holen und sie in eine gemeinsame Vorgangsweise zur Bekämpfung von Covid-19 einzubinden. Da ist die Konkurrenz zwischen dem Bund und seinen neun Ländern immer noch größer als das Zusammengehörigkeitsgefühl in dieser an sich recht kleinen Republik. So eitel, widerborstig und starrsinnig sind die Landeschefs, egal welcher Couleur, und acht davon Männer, doch gar nicht, dass es nicht einen Versuch wert wäre, einen Schritt auf sie zuzumachen und eine Strategie mit ihnen abzustimmen. Es geht darum, einen zweiten Lockdown abzuwenden, samt allen wirtschaftlichen Folgen, die schlicht katastrophal wären – abgesehen von den gesundheitlichen Folgen, unter denen viele und immer mehr Menschen zu leiden haben.

Rigidere Aktionen

Der Ernst der Lage dürfte aber auch in den Bundesländern noch nicht angekommen sein. Dort wird immer noch mit Hingabe über die Bundesregierung gemeckert; Sebastian Kurz gibt natürlich ein prächtiges Feindbild ab, manchmal sogar bei den eigenen Leuten. Verantwortung wird abgeschoben anstatt wahrgenommen. Die wirklich unpopulären Maßnahmen traut sich kaum einer der Landeschefs zu verhängen, weil er sich den Unmut der Bevölkerung nicht zuziehen will. Dabei wäre es an der Zeit, rigidere Aktionen zu setzen, nicht nur um den Lockdown abzuwenden, sondern auch um die Reisewarnungen loszukriegen, die ebenfalls eine enorme Bedrohung für die Wirtschaft darstellen. Und geht’s der Wirtschaft schlecht, geht’s auch den Menschen schlecht.

Die Schadenfreude, die vor allem in den sozialen Medien aufkommt, wenn es um die absehbaren Folgen für die Tourismusregionen geht, ist nicht nachvollziehbar. Es kann doch niemand eine Freude daran haben, wenn alles den Bach runtergeht und den Menschen ihre wirtschaftliche Existenz genommen wird. Die gierigen Seilbahnbesitzer und einflussreichen Großhoteliers haben zwar alle Sympathie verspielt, aber da geht es um die Menschen, die in der Tourismusbranche arbeiten oder von ihr abhängig sind. Uns allen ist da mehr Empathie empfohlen, und der Politik mehr Mut und Entscheidungswille – und es muss dabei egal sein, ob einer im Bund oder in den Ländern verankert ist, ob er türkis, schwarz, rot oder grün ist. (Michael Völker, 22.10.2020)