Dresdner Straße 117: Edelstahlbalkon, Milchglasfüllung, Werbeschild. Altmannsdorfer Straße 91: Edelstahlbalkon, Milchglasfüllung, Werbeschild. Schönbrunner Schloßstraße 25: Edelstahlbalkon, Milchglasfüllung, Werbeschild. Und, kürzlich fertiggestellt, mitten im Sonnwendviertel, Bloch-Bauer-Promenade 1, auch hier: Edelstahlbalkon, Milchglasfüllung und dunkelblaues Werbeschild mit dottergelbem Schriftzug.

Das Wiener Unternehmen U.M.Bau, ein gewerblicher Bauträger, der die Öffentlichkeit scheut und Medienanfragen in großem Radius aus dem Weg geht, scheint vor einigen Jahren einen recht praktischen und wohl auch erfolgreichen Baukatalog entwickelt zu haben, mit dem die Wiener Stadtlandschaft nun sukzessive mit dringend benötigter Wohnnutzfläche verbaut und optisch zugemüllt wird. Von den 20 Wohnhäusern zwischen dem zweiten und dem 22. Bezirk, die auf der Website als Referenzprojekte angeführt werden, ordnet sich ein Großteil in genau diesen seriellen Kanon ein.

Genius Loci? Was ist das? Balkone, Balkone und noch mehr Edelstahlbalkone in
Wieden, Meidling und Favoriten.
Foto: Czaja

"Dank unserer attraktiven Lagen und qualitativ hochwertigen Bauweise haben wir uns in den letzten 20 Jahren zu einem der führenden Immobilienentwickler am Wiener Markt etabliert", heißt es auf der Website des Unternehmens, das laut eigenen Angaben ausschließlich befristete Mietwohnungen für eine Mietdauer von maximal drei Jahren bewirbt. "Unser Unternehmen steht für höchsten Anspruch an Qualität, Unabhängigkeit und wird als verantwortungsbewusster Partner von unseren Kunden sehr geschätzt." Aber was heißt denn das genau?

Nicht unbedingt Architektur

Für ein Interview oder auch nur für eine kurze telefonische Stellungnahme war Vorstand Ingenieur Peter Predl in den letzten drei Monaten nicht zu gewinnen. "Rufen Sie mich nächstes Jahr wieder an, vielleicht habe ich dann Zeit, aber 2020 geht sich das nicht mehr aus." Ende des Gesprächs.

Ebenso zurückhaltend, weil nicht existent, sind Medienberichte und Presseaussendungen. Auch ein Journalistenkollege des zunehmend verstörten Autors und Stadtbeobachters ist kürzlich, nachdem er sich nach einem konkreten Projekt erkundigen und Zahlen, Daten, Fakten einholen wollte, unverrichteter Dinge wieder abgeblitzt. Also muss das ästhetische Phänomen, das alle paar Monate wie eine Metastase aus der Stadt aufpoppt, anderweitig analysiert werden.

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"Dass Häuser mit formal gleichen Elementen gebaut werden, ist kein neues Phänomen, das gab es in der Gründerzeit auch schon", sagt Anita Aigner, Professorin für Gestaltung an der Architekturfakultät der TU Wien. "Bei der Gestaltung ihrer Zinsbauten griffen die Bauherren oft auf seriellen Bauschmuck zurück, den sie an die Fassade hefteten. Daher schauen viele Häuser in Wien gleich aus, viele davon sind sogar nahezu identisch."

Heute hingegen, so Aigner, hätten serielle Bauprodukte in der Architektenschaft einen deutlich schwereren Stand. Vor allem in der freifinanzierten Immobilienwirtschaft greift man aus wirtschaftlichen Gründen gerne auf serielle Modelle zurück, was unter Architekten, die bei jedem neuen Projekt am liebsten das Rad neu erfinden wollen, mit Naserümpfen beobachtet wird. "Aber ist das per se zu verurteilen? Oder ist diese Maßnahme in einer freien Marktwirtschaft nicht auch durchaus legitim? Die Frage ist nur: Wie kann man hier dennoch ein gewisses Qualitätslevel erreichen und kontrollieren?"

Auch Sabine Pollak verweist gerne auf die Architekturgeschichte: "Ob in der Gründerzeit, im russischen Konstruktivismus, im Bauhaus, im Roten Wien oder in der Nachkriegsmoderne im ehemaligen Ostblock", sagt die Professorin für Architektur und Urbanistik an der Kunstuniversität Linz, "wurde immer wieder auf bewährte Elemente und Module gesetzt und damit ein einheitlicher Kanon propagiert. Mit dem Unterschied jedoch, dass es in der Vergangenheit ein höheres Qualitäts- und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Bevölkerung und dem öffentlichen Stadtbild gab. Doch alles, was man im konkreten Fall sieht, ist ein hundertfach kopiertes 3D-Balkonelement aus irgendeinem CAD-Zeichenprogramm. Eine einzige Katastrophe."

Foto: Czaja

Die Misere hätte sich die Bauwirtschaft aber letztendlich selbst eingebrockt: Steigende technische Anforderungen an Brandschutz, Erdbebensicherheit, Barrierefreiheit, Bauökologie und Haftung führten dazu, dass man als Wohnbauarchitektin nur noch dick eingepackte Beton-Styropor-Klötze mit maximaler Kubatur und minimaler Oberfläche produzieren kann. "Auch die Belichtungsanteile sind ganz genau limitiert, und so ist der Balkon die letzte Bastion, an der man noch gestalterische Freiheit hat. Das ist der Tod der Architektur." Wie schmerzhaft und entbehrlich diese Agonie ist, zeigt U.M.Bau mit größter Deutlichkeit.

Keine Geschmackspolizei

Was tun? "Corporate Architecture, die überall auf der Welt gleich über alle Orte gestülpt wird, unabhängig vom Genius Loci, kennt man von Apple, Google und Siemens", sagt Bart Lootsma, Professor für Architekturtheorie an der Universität Innsbruck. "Im Wohnbau jedoch ist diese Serialität, die keinerlei Rücksicht auf das Rundherum nimmt, irgendwie befremdlich."

Lootsma, gebürtiger Holländer, verweist auf den niederländischen "Beeldkwaliteitsplan", in dem für jede Straße, für jedes Quartier, jede Region visuelle und architektonische Qualitätskriterien festgeschrieben sind. Ein solches Instrument fehle in Wien. "Die Balkone und vor allem auch die großen Werbetafeln, die keinen positiven Beitrag zum Stadtbild leisten, sind uns schon vor längerer Zeit aufgefallen", sagt Franz Kobermaier, Abteilungsleiter des Fachbereichs Architektur und Stadtgestaltung.

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"Einen solchen aufdringlichen Hinweis auf den Eigentümer des Gebäudes halte ich für verzichtbar. Doch letztendlich sind wir keine Geschmackspolizei, sondern bewerten in unserer Abteilung einzig und allein den gestalterischen Beitrag im Kontext des Stadtbildes."

Während es im geförderten Wohnbau, im öffentlichen Bau und im denkmalgeschützten Bereich mit Bauträgerwettbewerben, Grundstücksbeiräten und dem Bundesdenkmalamt bewährte Kontrollmechanismen mit genau definierten Qualitätskriterien gibt, können sich gewinnorientierte Wohnbauträger, die für eine befristete 40-Quadratmeter-Wohnung fast 800 Euro Miete verlangen, im Stadtbild nahezu frei austoben.

Das Problem ist kein singuläres, sondern bezieht sich auf einen großen Teil der Branche, die ihr wirtschaftliches Interesse vor das Wahrnehmen ihrer baukulturellen Verantwortung stellt und jeden Dialog mit der Öffentlichkeit verweigert.

Es droht Ungemach. Wie schreibt doch U.M.Bau auf der Website? "In diesem Sinne werden wir fortfahren und die Zukunft am Wiener Immobilienmarkt weiter erfolgreich mitgestalten." (Wojciech Czaja, 25.10.2020)