"Befriedigung des Voyeurismus": Presserat verurteilt Foto in Gratiszeitung "Oe24" von Mutter vor Sprung aus dem 4. Stock.

Foto: fid

Die Tageszeitung "Oe24" hat nach Ansicht des Presserats mit dem Foto einer Mutter, kurz bevor sie im 4. Stock aus dem Fenster sprang, den Persönlichkeitsschutz und die Intimsphäre der Frau verletzt. Der Artikel "Feuer-Drama: Mutter sprang aus Fenster" erschien am 31. Juli 2020 in der Gratiszeitung.

"Oe24" berichtete über einen Wohnungsbrand in einer Dachgeschoßwohnung in Wien. Dabei sei eine Mutter wegen des Brandes vor den Augen ihrer Kinder aus dem 4. Stock gesprungen. Nach der notfallmedizinischen Versorgung habe die Berufsrettung die schwer verletzte Frau ins Spital gebracht, dort liege sie im Koma. Ein Foto zum Artikel zeigt die Frau auf dem Fensterbrett kurz vor ihrem Sprung.

"Verletzung der Menschenwürde"

Nach Ansicht des Senats 3 des Presserats ist die Veröffentlichung eines Fotos, das eine Person kurz vor einem lebensgefährlichen Sprung aus dem Fenster zeigt, als Verletzung der Menschenwürde zu bewerten (Punkt 5.1 des Ehrenkodex für die österreichische Presse). Es sei "evident, dass hier der Persönlichkeitsschutz missachtet wurde".

Zwar sei die abgebildete Person aufgrund der schlechten Bildqualität auf dem Foto nicht deutlich zu erkennen. "Für ihre nahen Angehörigen und Bekannten ist sie jedoch aufgrund des beschriebenen Vorfalls identifizierbar; darüber hinaus wurde beim Artikel auch ein Porträtfoto der Betroffenen veröffentlicht", lässt der Presserat verlauten.

"Befriedigung des Voyeurismus"

Der Presserats-Senat sieht kein legitimes Informationsinteresse an dem Bild. Seine Veröffentlichung diene "vor allem der Befriedigung des Voyeurismus und der Sensationsinteressen gewisser Leserinnen und Leser".

Medien müssten in der Berichterstattung Rücksicht auf die Trauerarbeit und das Pietätsgefühl der Angehörigen nehmen. Nach Meinung des Senats ist die Veröffentlichung von derartigen Bildern "geeignet, die Trauerarbeit der Angehörigen massiv zu erschweren".

"Oe24" aufgefordert, über Ethikverstoß zu berichten

Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte die Veröffentlichung des Fotos als grausam, zudem würden die Gefühle der Hinterbliebenen verletzt. Die Medieninhaberin nahm am Verfahren vor dem Presserat nicht teil. Die Kaufvariante der Zeitung, "Österreich", hat den Ehrenkodex und damit den Presserat schon vor einigen Jahren anerkannt, das Onlineportal Oe24.at seit Sommer 2020. Der Presserat fordert die Medieninhaberin von "Oe24" auf, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten. (fid, 23.10.2020)