Ehe die ernüchternden Testergebnisse öffentlich bekannt wurden, schloss der Pharmamulti Gilead mit der EU-Kommission noch schnell einen Milliardendeal ab.

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Manche Geschichten wiederholen sich – oder zumindest so ähnlich. Die Rede ist in dem Fall von Tamiflu und Remdesivir. Das Grippemedikament Tamiflu wurde im Jahr 2000 in den USA offiziell zugelassen, obwohl seine Wirksamkeit umstritten war. Und unter ähnlichen Umständen wurde ziemlich genau zwanzig Jahre später Remdesivir als Medikament zur Behandlung von Covid-19 in den USA offiziell von der FDA approbiert, obwohl auch hier nicht ganz eindeutig ist, wie gut das Mittel wirkt.

Das sind freilich nicht die einzigen Parallelen. Beide Wirkstoffe wurden in der gleichen Firma entwickelt, nämlich vom US-Pharmaunternehmen Gilead, das in diesen zwanzig Jahren selbst zum Pharmariesen (Umsatz 2019: rund 22 Milliarden US-Dollar) wuchs. Und mit beiden Medikamenten wurden und werden in der Notsituation einer Epi- bzw. Pandemie Milliardenumsätze gemacht.

Beginnen wir mit Tamiflu. Das ist der Handelsname für den Wirkstoff Oseltamivir, der vom aus Österreich stammenden Forscher Nobert Bischofberger entwickelt wurde. Bischofberger arbeitete damals für die zu dieser Zeit noch recht kleine US-Pharmafirma Gilead, die 1987 gegründet worden war. Ende 2000 erhielt Oseltamivir als Wirkstoff gegen Grippe die amtliche Arzneimittelzulassung in den USA und in Japan, zwei Jahre später auch in der Europäischen Union, obwohl die Wirksamkeit des Medikaments von Beginn an umstritten war.

Epidemiebedingter Blockbuster

Dennoch entwickelte sich Tamiflu, vertrieben vom Pharmariesen Roche, zum Blockbuster. Das geschah vor allem wegen der befürchteten Folgen der damals grassierenden Hühner- und Schweinegrippe und wegen der Empfehlungen der WHO: 2005/06 kaufte deshalb auch die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat vorsorglich für etliche Millionen ziemlich große Mengen des Grippemedikaments ein, die zum Teil bis heute in geheimen Depots in Österreich lagern.

Vor allem dank solcher staatlichen Ankäufe für einen möglichen Ernstfall betrug der Tamiflu-Umsatz im Jahr 2006 nicht weniger als 2,6 Milliarden Schweizer Franken. Seitdem ging er recht stark zurück: Im ersten Halbjahr 2018 wurden nur mehr 320 Millionen Franken damit umgesetzt, was vor allem auch daran lag, dass etliche weitere Untersuchungen zu einem ernüchternden Resultat der Wirksamkeit von Tamiflu kamen.

Eine Metaanalyse der angesehenen Cochrane Collaboration etwa fand 2014 heraus, dass sich bei einer Behandlung mit Oseltamivir bei Erwachsenen bloß die Dauer einer Grippe von 7 auf 6,3 Tage verkürzt. Jedoch hatte Tamiflu keinen Einfluss auf die Häufigkeit schwerer Verlaufsformen und auf die Sterblichkeit.

Umgewidmetes Ebola-Medikament

Damit kommen wir wieder zurück zu Remdesivir, das ursprünglich eigentlich gegen Ebola entwickelt wurde. Der Wirkstoff, der die Vermehrung von Viren bremsen soll, erwies sich zwar als einigermaßen wirksam. Doch im Vergleich zu einer anderen Therapiemöglichkeit unterlag das Medikament 2019 klar. Remdesivir war damit eigentlich gescheitert – wenn nicht die Corona-Pandemie gekommen wäre.

Bereits zu Beginn der Pandemie galt der Wirkstoff als Kandidat für Covid-19-Behandlungen und wurde in mehreren klinischen Trials getestet. Parallel dazu kam es zu Sonderzulassungen in den USA und auch Europa. Unter dem Strich waren die Erfolge von Remdesivir, das auch US-Präsident Trump erhielt, bei der Behandlung aber relativ bescheiden: Das Medikament verkürzte zwar die Behandlungsdauer um etwa vier Tage – konkret von 15 auf elf. Doch es hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Sterblichkeit.

Das war in etwa auch eines der Ergebnisse der großen Solidarity-Studie der WHO, die am 15. Oktober als Pre-print auf medRxiv veröffentlicht wurden. Vorab wurde dieses eher ernüchternde Resultat bereits am 28. September auch der Firma Gilead übermittelt, die angeblich zu anderen, positiveren Resultaten gekommen war.

Lukrativer Deal mit der EU

Noch nicht über die Ergebnisse der WHO-Studie war damals freilich die EU-Kommission informiert. Und so gelang es Gilead, am 8. Oktober – also bevor diese enttäuschenden Ergebnisse bekannt wurden – noch schnell einen Milliardendeal mit der EU abzuschließen: Der Vertrag umfasst die mögliche Bereitstellung von 500.000 Behandlungen mit Remdesivir. Ein Behandlungszyklus dauert fünf Tage (eine Ampulle täglich) und kostet stolze 2.070 Euro. (Die Herstellungskosten einer Ampulle Remdesivir dürften bei unter einem Euro liegen.)

Die tatsächliche Bezahlung wird mit der konkreten Bestellung fällig. Seitens der EU wollte man freilich keine Angaben machen, wie viele Dosen bereits bestellt wurden. Und nach der offiziellen Zulassung des Medikaments am Donnerstag in den USA kletterten die Aktienkurse von Gilead gleich noch einmal nach oben. (tasch, 23.10.2020)