Laut der jüngsten Umfrage des Market-Instituts zur Akzeptanz der Corona-Maßnahmen der Regierung stehen noch 53 Prozent der Befragten hinter der Corona-Politik, doch vor dem Sommer lag dieser Wert bei 70 Prozent.

Foto: AFP / Clement Mahoudeau

Ein Oktoberwochenende im Osten Österreichs, mitten in den herbstlichen Wäldern der Voralpen. Eine gemütliche Hütte, zu der man wandern oder auch mit dem Auto fahren kann, sie ist an diesem Wochenende gesteckt voll. Dort hat nämlich die nette Großfamilie den Gastraum belegt.

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Man sitzt gedrängt, festlich gewandet in Dirndl und Lederhose: Frauen, Männer, Kinder, Senioren und ältere Damen – mindestens 50 Personen, die ganz offensichtlich eine Familienfestivität begehen. Keine Masken, gemütliches Beisammensitzen, Plaudern, Lachen, Essen und Trinken – und Baby- statt Babyelefantenabstand. Zufällig vorbeikommende Wanderer blieben lieber im Nebel vor der Hüttentür sitzen.

Es war jenes Wochenende, an dem sich die Menschen offenbar auch an der Liftstation des Hintertuxer Gletschers drängelten – und an dem bereits klar war, dass die Regierung am Montag darauf verschärfte Maßnahmen verkünden würde: also etwa auch private Treffen indoor nur mehr mit maximal sechs Erwachsenen; oder Treffen im Freien mit maximal zwölf Personen – und mit Mund-Nasen-Schutz.

Hier also heitere Sorglosigkeit, dort das Anziehen der Restriktionsschraube: zwei Seiten ein und derselben Pandemie-Medaille.

Tiefer emotionaler Graben

Durch Österreich zieht sich wieder einmal ein tiefer emotionaler Graben: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich von der sorgenvoll-mahnenden Rhetorik der Regierenden und den Warnungen der Experten beeindrucken lassen und sich selbst beschränken und sukzessive zurückziehen – aus Angst vor Ansteckung und der Sorge, andere zu infizieren.

Auf der anderen Seite jene, die vom Daueralarmismus ermüdet sind, die alles für übertrieben halten. Und das trotz stetig steigender Infektionszahlen, denn: Es gibt ja auch beruhigende Nachrichten. Die Spitäler melden viele leere Intensivbetten, die Todesrate in Österreich aufgrund von Covid-Erkrankungen ist nach wie vor gering.

Das Problem hat der deutsche Virologe Christian Drosten vor kurzem so erklärt: Jeder hat zum Coronavirus seine eigene Meinung. Weil es uns alle betrifft. Drosten kritisierte in seinem Podcast auch Kollegen, die in den sozialen Medien zum Teil Behauptungen von sich gäben, die "voller Unsinn" seien – und prompt Millionen Zugriffe hätten: "Das ist destruktiv." Zum Teil seien das auch Ärzte und Professoren, die "irgendeinen Quatsch" in die Welt setzen würden, die nie an diesen Themen gearbeitet hätten. Denen man aber aufgrund ihrer akademischen Qualifikation glaube.

Umfrage zu Corona-Maßnahmen

Den Spalt, der sich auch durch Österreichs Gesellschaft zieht, sieht man deutlich in der jüngsten Umfrage des Market-Instituts, das wöchentlich die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen der Regierung abfragt. Zwar stehen immer noch 53 Prozent der Befragten hinter der Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen, doch vor dem Sommer lag dieser Wert bei 70 Prozent.

Besonders bei den Jungen unter dreißig teilt sich das Meinungslager. 39 Prozent halten sie für gerechtfertigt, 38 Prozent für übertrieben – der Rest fordert noch schärfere Maßnahmen. Insgesamt, sagt Market-Chefin Angela Trauner, sei seit August zu bemerken, dass die Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen der Regierung kontinuierlich bröckle – und die Sorge um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie steige.

Trauner: "Vor allem die Jungen stoßen an ihre Grenzen. Es wird ihnen so viel von ihren Zukunftschancen und ihrem Leben genommen." Eine Lehrstelle finden, abends mit Freunden ausgehen – das sei alles momentan sehr schwierig. Und ein Ende dieser Phase nicht absehbar.

Skepsis und Müdigkeit

Zudem sind die "Corona-Müden" oftmals auch darüber erbost, wenn sie sich in eine Reihe mit Verschwörungstheoretikern und Virus-Verleugnern gestellt sehen. Denn, so wird in vielen Foren argumentiert, Skepsis gegenüber den Corona-Maßnahmen sei begründet, da die Regierung häufig nicht nachvollziehbar handle und die Verordnungen verwirrend und teils widersprüchlich seien.

Etwa im Bereich Gastronomie: Wer kann auf Anhieb die Frage beantworten, wie viele Gäste derzeit an einem Tisch sitzen dürfen? Oder in welchem Bundesland welche frühere Sperrstunde gilt? Eben. Es ist alles sehr kompliziert.

Droht ein zweiter Lockdown? Wenn wir wollten, können wir eine neuerliche Stilllegung des Landes "ausschließen", sagt Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Wer jetzt Party macht, gefährdet Arbeitsplätze, argumentiert Wirtschaftsministerin Schramböck bei Standard Diskussion "mitreden".
DER STANDARD

Weil diese Unübersichtlichkeit kein österreichisches Spezifikum ist – man denke etwa auch an das durchaus eigenwillige "Beherbergungsverbot" in Deutschland –, führt dies dazu, dass Menschen weltweit "Pandemie-müde" werden und sich oft nicht mehr an die Regeln halten. Daher hat die Uno-Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich einen kleinen Leitfaden gegen Pandemie-Müdigkeit herausgegeben.

Darin heißt es etwa, Regierungen dürften nicht länger Angst verbreiten. Zudem müssten die Maßnahmen so gerecht wie möglich, transparent und für alle nachvollziehbar sein. Dies wird freilich konterkariert, wenn etwa ÖVP-regierte Bundesländer den Verordnungstext des Gesundheitsministers über Verschärfungen früher sehen als die SPÖ-regierten.

Klar, präzise und vorhersehbar

Ein weiterer Tipp der WHO: Regierungen sollten "klar, präzise und vorhersehbar" in ihren Handlungen sein. Hier gibt es in Österreich sicherlich auch noch Luft nach oben – etwa, was die Logik von Einschränkungen im Sport- und Kulturbereich betrifft.

Dazwischen stehen jene, die gerade selbst an Covid erkrankt sind oder einen erkrankten Angehörigen haben. Manche berichten, sie würden von ihrem sozialen Umfeld zum Teil wie "Aussätzige" behandelt. Psychologen warnen neuerdings, dass auch die Angst vor dem Virus das Potenzial habe, die Gesellschaft zu spalten.

In Österreich äußert sich seit kurzem eine Gruppe von Medizinern rund um den Public-Health-Experten Andreas Sönnichsen recht lautstark gegen die Maßnahmen der Regierung. Die Gruppe hält sie für "übertrieben" und warnt vor "gefährlichen Folgen" der Einschränkungen. Ob ein Zurückfahren der Maßnahmen allerdings gegen Angst und Corona-Müdigkeit helfen würde, ist fraglich. Denn das ist das Präventionsparadox. Mehr Sorglosigkeit bedeutet auch: noch mehr Infektionen. (Petra Stuiber, 24.10.2020)