Acht Jahre nach dem letzten Album wieder zurück: Die Ärzte.

Foto: Nela König

Acht Jahre lang haben Die Ärzte aus Berlin kein Album veröffentlicht. Dafür geht es jetzt auf Hell in die Vollen. 18 Songs in 61 Minuten. Schön doppeldeutig, aber nicht übertrieben originell zwischen den englischen und deutschen Wortbedeutungen changierend, hat man sich mit den Liedern von Hell nun vielleicht ein letztes Mal dazu aufgerafft, als junggebliebene, aber nicht mehr ganz so junge Leute für die heutige deutsche Weltjugend Party zu machen.

Immerhin geht man flott auf die 60 zu. Nicht das erste Mal in ihrer Karriere könnte die Musiker bei Livekonzerten das schleichende selbstironische Gefühl befallen, hier mit Gitarre im Stuhlkreis sitzend den laut aktuellem Songtitel Clown aus dem Hospiz für Menschen aus der Neigungsgruppe Punkrock als Nachmittagsbetreuung zu geben:

"Was man sehr schnell vergisst, wenn der Künstler glücklich ist / Nimmt man kaum noch Notiz von dem Clown aus dem Hospiz / Drum lasst ihn allein, bewahrt ihn stets vor’m Glücklichsein / Mit sich im ständigen Disput, denn nur im Dunkeln geht’s ihm gut".

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Zuletzt war man 2012 im Banddurchschnitt auch schon Ende Vierzig. Die Ärzte konnten mit den Songs von auch zwar in Deutschland sensationelle 200.000 Einheiten verkaufen und sich wochenlang in den Charts halten. Selbst bei vielen Hardcore-Fans der immergrünen, aber etwas faltig werdenden musikalischen Berliner Humorinstitution machte sich angesichts von Singles wie zeiDverschwÄndung (sic!) oder Ist das noch Punkrock? ein gewisses Übersättigungsgefühl breit. Am durchschlagenden Live-Erfolg des Trios auf sämtlichen Großfestivals des deutschsprachigen Raums konnte das natürlich nichts ändern.

Breit aufgestellt

Ein paar Jahre war nun also wieder einmal Schluss mit lustig. Die von 1982 kommenden Gründerärzte Farin Urlaub und Bela B sowie das 1993 beigetretene Bandbaby Rod Gonzáles konnten sich wieder einmal nicht riechen. Man ging diversen Projekten nach: Roman schreiben, Soloalben machen, auf dem Motorrad in der Weltgeschichte rumgurken, in einer Fernsehserie mitspielen, Minze im Mojito jäten.

Stilistisch hat man sich auf Hell durchaus auch einmal breit, aber nicht durchgegrätscht aufgestellt. Man muss die jungen Leute abholen, wo sie gerade sind: Los geht es mit verstrahltem Cloud-Rap und Trap-Beats im Opener E.V.J.M.F.. In dem sollen die Kids zum Entsetzen der Freunde dieses Genres bald mit bratzender Rockgitarre und der Erklärung des aus der Rhetorikschule kommenden Begriffs des "Hendiadyoins" aus ihrer Lethargie geholt werden. Ja, auch aus der Popmusik kann man etwas lernen.

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Ich, am Strand bietet fröhlichen deutschen Reggae. Das letzte Lied des Sommers wäre so etwas Ähnliches wie eine Ballade, so denn Farin Urlaub Balladen schreiben würde. Tut er aber natürlich nicht. Mit Liebe gegen Rechts, einer Weiterführung ihres Anti-Nazi-Songs Schrei nach Liebe aus dem Jahr 1993, zuckeln Die Ärzte schließlich als Cotton Eye Joes mit dengelndem Banjo und dem Elvis-Song Viva Las Vegas im Ohr ins ostdeutsche Kernland der AfD. Sie tun dort Gutes:

"Meine Freundin war einmal / Für eine Weile rechtsradikal / Doch dann hat sie’s sich überlegt / Liebe brachte sie auf den richtigen Weg / Niemand wird als Faschist geboren / Man muss um sie kämpfen, sonst sind sie verloren / Man benötigt viel Geduld dazu / Und heute hat sie nur noch ein Fenster-Tattoo".

Gegen das Alter stemmen

Ansonsten regiert auf Hell eine Stunde lang das gewohnte, sich gegen die Schwerkraft des Alters stemmende Geholze, wie man es seit der Gründerzeit der Ärzte kennt und schätzt. Liebe gegen Rechts wird thematisch noch durch Alle auf Brille und das AfD-Lied Woodburger ergänzt. Achtung: Bielefeld spricht sich bei Rockmusik im ADHS-Bereich für die gepflegte Langeweile aus. Für Albumfüller wie Wer verliert, hat schon verloren hat man Die Ärzte schon immer heimlich gemocht. Ende 2021 werden Die Ärzte wieder auf Tour gehen. Tapfer sein, gesund bleiben. (Christian Schachinger, 24.10.2020)