Saad Hariri ist wieder da: Er soll die Regierung bilden, die den Libanon aus der tiefsten Krise seit dem Bürgerkrieg führt. Es ist derselbe Politiker Hariri, der als Reaktion auf die Protestwelle vor einem Jahr zurückgetreten war: Proteste, die sich nicht nur, aber auch gegen ihn richteten. Hariri, Mehrfachpremier und Sohn eines Mehrfachpremiers, verkörpert genau jenes System, dessen Auflösung die Libanesen und Libanesinnen auf den Straßen verlangten.

Unterstützer Saad Hariris.
Foto: AFP/MAHMOUD ZAYYAT

Und doch scheint seine Rückkehr ein fast unausweichliches Schicksal zu sein: Warum sollten die Sunniten, denen laut Verfassung der Posten des Ministerpräsidenten zusteht, auf eine politische Figur im System verzichten, wenn das Präsidentenamt mit Michel Aoun fest in der Hand einer Maronitenpartei ist und ein schiitischer politischer Dinosaurier, Nabih Berri, nach 28 (!) Jahren weiter an der Parlamentsspitze sitzt?

Hariri soll nun Reformen auf den Weg bringen, um jene internationale Hilfe loszueisen, die der von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron entworfene Libanon-Plan vorsieht. Er wird es schwerhaben, gleich mehrere mächtige Parteien unterstützen ihn nicht. Seine einzige Chance ist die Dringlichkeit: Zur schwierigen Lage vor einem Jahr sind noch die Corona-Krise und die Zerstörungen, verursacht durch die Explosion im Hafen von Beirut im August, dazugekommen. Seitdem hat sich der Libanon von einem Land, das Flüchtlinge aufnimmt, in eines verwandelt, das Flüchtlinge produziert. (Gudrun Harrer, 23.10.2020)