Im Gastkommentar spricht sich der Jurist Konrad Lachmayer für mehr Transparenz bei den Corona-Verordnungen aus. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Peter Bußjäger: "Warum Föderalismus in der Krise hilft".

Kuchl am vergangenen Samstag. Die Ortseinfahrt wird von der Polizei kontrolliert, bis 1. November steht die Marktgemeinde unter Quarantäne.
Foto: APA / Franz Neumayr

Was ist erlaubt, was verboten? So klar die Rechtsordnung sein soll, so schwierig sind die Covid-19-Bestimmungen zu verstehen. Die aktuellen Entwicklungen der Salzburger Gemeinde Kuchl zeigen die Probleme deutlich auf:

Am 12. Oktober verordnete die Bezirkshauptmannschaft (BH) Hallein, dass Veranstaltungen in allen Gemeinden des Bezirks zu untersagen sind. Ausnahmen der Covid-19-Maßnahmenverordnung des Gesundheitsministers Rudolf Anschober (Grüne) bleiben aber weiter bestehen. Begräbnisse sind auf 100 (anstatt 500) Personen zu begrenzen. Sonderregeln der Covid-19-Maßnahmenverordnung kommen aber nicht zur Anwendung. Die Verordnung der BH Hallein sollte am 26. Oktober wieder außer Kraft treten. So weit, so gut.

Neue Verordnungen

Fünf Tage später verordnete Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP), dass die Regeln der BH Hallein sogleich außer Kraft treten, also neun Tage früher als geplant. Mit dieser neuen Verordnung sind in ganz Salzburg Veranstaltungen untersagt. Veranstaltungen mit Sitzplatzkonzept sind aber möglich, die Ausnahmen der Verordnung des Ministers bleiben aufrecht. Bei Begräbnissen gelten weiterhin die 100 Personen, und es gibt keine Ausnahmen – also kein Sitzplatzkonzept. Im Bezirk Hallein sind alle Veranstaltungen – kein Sitzplatzkonzept – untersagt, außer die Ausnahmen des Ministers und Begräbnisse bis 100 Personen.

Allerdings: Die Verordnung des Landeshauptmanns bestimmt für Kuchl überdies eine Ausgangsbeschränkung, nur Ausnahmen des Covid-19-Maßnahmengesetzes sind relevant, womit Veranstaltungen und damit auch Begräbnisse in Kuchl gänzlich untersagt sind.

Die hier geschilderte Verordnung des Salzburger Landeshauptmanns vom 17. Oktober tritt am 1. November außer Kraft. Nicht so die Ausgangsbeschränkungen für die Gemeinde Kuchl. Diese treten bereits mit 26. Oktober außer Kraft, womit in Kuchl am 27. Oktober Begräbnisse wieder zulässig wären – aber mit maximal 100 Personen.

Ständig neue Regeln

Alles klar? Die hier erwähnten Bestimmungen stellen nur einen Bruchteil aller Regeln dar, die nun zu befolgen sind. Verordnungen werden gleichzeitig von den Bezirkshauptmannschaften, den Landeshauptleuten und dem Gesundheitsminister erlassen. Sie ändern sich ständig und können einander gegenseitig beeinflussen.

Der Bundesminister kann die Verordnungen des Landeshauptmanns und der Bezirksverwaltungsbehörde aufheben, die Bezirke können die Anwendung der Verordnung des Bundesministers oder Landeshauptmanns durch eigene schärfere Regeln überlagern. Um zu wissen, welche rechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen, muss man alle Rechtsgrundlagen gleichzeitig lesen und immer wissen, wann welche Bestimmungen in Kraft, wann sie außer Kraft treten und ob sie von anderen Verordnungen überlagert werden.

Es wird immer schwieriger zu wissen, welche Regeln gelten und welche nicht (mehr).

Das angeführte Beispiel stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Bei Verschärfung der Covid-19-Situation in Österreich werden immer mehr Bezirke und Landeshauptleute zu diesen Möglichkeiten greifen. Es werden immer mehr und schneller Verordnungen erlassen, die einander gegenseitig widersprechen und aufheben. Was damit einhergeht: Es wird immer schwieriger zu wissen, welche Regeln gelten und welche nicht (mehr). Erschwerend kommt hinzu, dass die Verordnungen nicht gesammelt auf einer Website zu finden sind, insbesondere die Verordnungen der Bezirke.

Nur Auswahl gelistet

Das Bundesministerium für Digitalisierung listet derzeit eine Auswahl (!) an geltenden Rechtsakten zum Thema Corona auf: 96 unterschiedliche Gesetze und Verordnungen von Bund und Ländern. Verordnungen der Bezirke sucht man auf der Website vergebens.

Wieso ist diese Situation so problematisch? Aufgrund dieser Verordnungen bestehen massive Grundrechtsbeschränkungen, die in viele Lebensbereiche eingreifen. Ob Maßnahmen verhältnismäßig sind, muss im Einzelfall beurteilt werden. Begründungen für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen sind notwendig, erfolgen derzeit aber nicht öffentlich. Zuständig für die Überprüfung ist der Verfassungsgerichtshof, der in jedem Einzelfall aber gesondert anzurufen ist. Der Haken: Wer vor den Verfassungsgerichtshof ziehen will, braucht einen Anwalt. Insgesamt ist dieser Rechtsschutzweg ebenso beschwerlich wie langwierig – im Vergleich dazu, dass die Verordnungen oftmals nach einer Woche schon nicht mehr gelten.

Notwendige Rechtsklarheit

Wer gegen die verordneten Verbote verstößt, dem droht eine Verwaltungsstrafe. Die Exekutive kann bei Zuwiderhandeln – im Extremfall – Menschen sogar festnehmen und bei Zahlungsunfähigkeit für mehrere Wochen inhaftieren. Wer sich gegen eine Verwaltungsstrafe wehren will, muss dann allerdings wissen, welche Verordnungen etwa vor einer Woche oder vor einem Monat gegolten haben, als das vielleicht strafbare Verhalten gesetzt wurde.

In einem Rechtsstaat müssen die betroffenen Menschen wissen können, an welche rechtlichen Vorschriften sie sich zu halten haben. Die öffentliche Zugänglichkeit dieser ist dafür erforderlich. Das ist kein frommer Wunsch, sondern eine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Die nun auftretenden rechtsstaatlichen Probleme waren übrigens vorab bekannt und hätten durch entsprechende Gesetze vermieden werden können. Der Rechtsstaat stellt ein Grundprinzip unserer soeben gefeierten Verfassung dar und fordert Rechtsklarheit. Wir sollten wissen, welche rechtlichen Regeln in unserem Staat bestehen. Dann können wir diese auch befolgen. (Konrad Lachmayer, 24.10.2020)