Einatmen und ausatmen, heißt es bei Simon Mayer, der in seinem neuen Stück die Pandemie verhandelt.
Foto: Franzi Kreis

Was uns bewegt, vor allem in diesen, wie es so schön heißt, "bewegten" Zeiten? – Kurze Frage, schwer zu beant worten. Der oberösterreichische Choreo graf Simon Mayer hat jetzt unter dem Titel Being Moved einen Versuch gestartet und sich selbst im vom Brut-Theater angemieteten Ankersaal in Bewegung gesetzt. Ja sicher, könnte man sagen, darin sind Tänzer wie Mayer schließlich trainiert. Aber wo bleiben das Spezielle, der Witz und die Über raschung?

Das Spezielle: In dem Solo geht es um den Atem. Das geht uns gerade ganz direkt an, denn der unsere Leben mehr als alles andere beeinflussende Erreger heißt – zur Erinnerung – Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (Sars-CoV-2), weil er jene Coronavirus Disease (Covid-19) verursacht, die sich zu einer lebensbedrohlichen Atemwegserkrankung steigern kann. "Inhale" und "exhale", fordert Simon Mayer zu Beginn. Weil das Publikum Masken trägt, wird ihm das selbstverständliche Ein- und Ausatmen zur Herausforderung.

Der Witz: In keinem Moment des Stücks spielt der Tänzer direkt auf Covid-19 an. Was ihn bewegt, ist das Dahinter und Darunter – in diesem Fall die Distanz zum eigenen Körper, an der unsere Kultur sowieso krankt: Fit und fesch muss das Menschenfleisch sein, flexibel und verfügbar. Mittel zum Zweck halt, und wenn jemandem etwas am Körper stört, wird es begradigt, aufgespritzt oder weggemacht.

Am Rand der Atemlosigkeit

Die Überraschung: Nach einem an Therapiesitzungen erinnernden Beginn wird Being Moved dann doch nicht belehrend. Mayer hat sieben leere Sessel, die von unten und oben beleuchtet werden können, bei sich auf der Bühne stehen. Das Tanzsolo gewinnt zwar nur langsam an Fahrt, steigert sich aber mit der Zeit zu einer wilden Party-for-one – bis an den Rand der Atemlosigkeit. Immer wieder erstickt der Sound (Pascal Holper) und fährt neu an, das Atmen des Tänzers wird verstärkt und hetzt durch den ganzen Theaterraum. Dabei darf auch ein ordentlicher Bühnenrauch nicht fehlen. Und der kommt bekanntlich von Trockeneis. Was da also wie gewohnt durchs Theater wolkt, ist reines CO2. Das macht diesen Rauch, in Zeiten der Klimakrise, zu einem dunstigen Politikum. Clubs und Theater mögen bei diesem Witz erschaudern: Da steht wohl eine weitere Rauchdiskussion an.

Unwahrscheinlich, dass Simon Mayer gerade diese mit hintersinniger Absicht vom Zaun brechen will. Aber sobald die Corona-Schlacht geschlagen ist, wird (neben der Wirtschaftskrise) die Klimakatastrophe wieder das Königsthema sein. Beabsichtigt oder nicht, Being Moved zeigt einen Grand Jeté in die Nesseln: Die Ein-Mann-Party, perfekt mit Discolicht, Muntermacher-Sound und ekstatischem Tanz, erinnert an etliche zum Gaudium des Virus in letzter Zeit allzu leichtfertig gefeierte Festln.

Simon Mayer will eigentlich grundsätzlicher sein und tastet mit großer Empathie hinein in die mit dem Körper innig verflochtene Psyche, diesen großartigen und auch abgründigen Motor des Fleisches. Dieses tanzt, knetet und geigt er in etliche Höhen und Tiefen, ganz wie es eben ein Tänzer gut kann. Die Ambivalenz dieses Stücks ist seine Stärke. Aber nicht die einzige. (Helmut Ploebst, 23.10.2020)