Infektiologe Franz Allerberger rechnet mit einer baldigen Verdoppelung der Corona-Infektionszahlen.

Foto: APA / GEORG HOCHMUTH

Im Interview mit dem Radiosender Ö3 hat der Leiter der Abteilung für Öffentliche Gesundheit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages), Franz Allerberger, vor dem bevorstehenden Winter gewarnt: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht unser blaues Wunder erleben." Allerberger ging am Sonntag davon aus, dass sich "die Fallzahlen verdoppeln oder noch höhergehen werden". Ab 4.000 oder 5.000 Neuinfektionen am Tag müsse man mit Engpässen in der medizinischen Versorgung rechnen. Das Einzige, was helfe, sei, die Ausbreitung nach hinten zu verschieben – "'Flatten the curve', wie es heißt." Der eigentliche Höhepunkt an Neuinfektionen werde wahrscheinlich im Dezember oder Jänner kommen.

Einen zweiten Lockdown hält Allerberger trotzdem für nicht für notwendig: "Ich glaube, dass man mit Maßnahmen, die gelinder sind, das gleiche Ziel erreichen kann." Die gesetzten Maßnahmen der Regierung hält Allerberger für wichtig, da diese das Problembewusstsein der Bevölkerung stärken würden – auch wenn deren Wirkung nicht zu hundert Prozent wissenschaftlich belegbar sei. Mit dem heutigen Wissen wäre auch der erste Lockdown im März nicht notwendig gewesen. Die Maßnahmen wie Abstandhalten und Händewaschen hätten die steigenden Zahlen gebremst, nicht das Herunterfahren des Landes, sagt Allerberger.

"Jeder wird das Virus kriegen"

Als Experte und pragmatisierter Beamter sei es seine Pflicht, auf das hinzuweisen, was man mit Zahlen belegen könne. Sollte dies nicht mehr möglich sein, würden ähnliche Fälle wie in Tirol eintreten, in denen in öffentlichen Mitteilungen des Landes behauptet wurde, dass eine Ansteckung in einer Bar unwahrscheinlich sei. In der Medizin würden viele Dinge unter dem Motto "Hauptsache, es geschieht etwas" passieren, so Allerberger, der hier Homöopathie als Beispiel nennt. Dies sei in der Gesundheitspolitik nicht anders.

Allerberger rät, sich mit der Präsenz des Virus abzufinden: "Jeder von uns wird es früher oder später kriegen, außer er stirbt vorher. Es wird keine einfache Lösung geben." Einen Impfstoff prognostiziert Allerberger frühestens für Juli 2021, außerdem meint er: "Ich wette mein letztes Hemd, dass auch kein Medikament kommt, weil Medikamente gegen Viren kann man an einer Hand abzählen."

Herdenimmunität näher als gedacht

Schlaflose Nächte hätte Allerberger deshalb aber nicht. Die Krankheit hätte schließlich "nicht diese Bedeutung, die man ihr ursprünglich zugemessen hat". Zu Beginn der Pandemie ging man von einer 30-prozentigen Sterblichkeitsrate aus. Das sei bei weitem nicht eingetreten. Solange Kinder oder Schwangere keine erhöhte Sterblichkeit aufweisen würden, könne man dies nicht mit der Spanischen Grippe vergleichen.

Die erhöhte Sterblichkeitsrate bei älteren Menschen müsse man aber sehr wohl ernst nehmen, so Allerberger. Außerdem bekomme man als Gesellschaft ein Problem, wenn sich zu viele Menschen gleichzeitig anstecken – "das kann ganz schnell umschlagen".

Allerdings sagt Allerberger auch, dass man in Sachen Herdenimmunität von hoffnungsvollen Erkenntnissen sprechen könne. Ursprünglich ging man davon aus, dass es eine Durchseuchungsrate von 70 bis 80 Prozent brauche, aber die Werte aus Ischgl, Bergamo oder Wuhan würden zeigen, dass bereits eine Durchseuchung von 42 Prozent für eine Herdenimmunität ausreichen könnte. Daran werde aber noch geforscht. Die Menschheit werde sich sicher an das Virus anpassen. (lalo, 25.10.2020)