Es ist mal wieder soweit. Die jährliche iPhone-Saison hat begonnen. Seit Freitag sind das iPhone 12 und iPhone 12 Pro am Markt, um Apple-Jünger zu erfreuen und dem Konzern das Gros seiner jährlichen Einnahmen zu bescheren.

Neben einem überarbeiteten Design gibt es heuer unter anderem 5G-Support, einen Magsafe-Anschluss und einmal mehr ein Upgrade für die Kamera. Letzteres gilt speziell für die Pro-Modelle, die nun, wie das iPad Pro, nun auch einen Lidar-Sensor mitbringen. DER STANDARD hat das Handy, das Apple ab 1.149 Euro feilbietet, einem Test unterzogen.

Dass die neuste Iteration des Kultprodukts aus Cupertino in meinen Händen gelandet ist, ist einer Aneinanderreihung nicht vorhersehbarer Ereignisse zu verdanken. Denn eigentlich bin ich kein "Spezialist" für Apple-Dinge, sondern im seit circa einem Jahrzehnt im Android-Ökosystem daheim. Vier Jahre nach dem iPhone 7 machte ich also wieder einmal etwas nähere Bekanntschaft mit der Reihe. Und was soll man sagen? Ich bin ein klein wenig verliebt – rein technisch natürlich.

Foto: DER STANDARD/Pichler

The times are a-changin'...

Seit dem iPhone 7 hat sich einiges getan. Dem Aus für den Klinkenstecker folgte der Abschied von Touch ID und die Einführung von Wireless Charging. Und man wechselte zwei Mal das Design. Nach dem iPhone X, XS und 11 schwenkte man wieder um in Richtung des "Rahmenbands", wie es bereits die ersten iPhones bis zum 5s (und das erste iPhone SE) besaßen und kombiniert es mit recht schmalen Rändern nebst breitem "Notch". Das Ergebnis, abseits der großen Kerbe für Frontkamera und Ohrhörer, weiß subjektiv zu gefallen.

Mit 146,7 x 71,5 x 7,4 Millimeter ist das iPhone 12 Pro ausgesprochen kompakt für ein Gerät mit 6,1-Zoll-Bildschirm. Von der Seite aus betrachtet wirkt es nicht besonders dünn, was aber der Tatsache geschuldet ist, dass kein abgerundeter Rand mehr die Illusion ausgeprägterer Schlankheit erzeugt. Dank des Formats liegt das Handy gut in der Hand. Ein-/Ausschalter und die Lautstärketasten sowie der Umschalter für das Lautstärkeprofil sind gut erreichbar. Einzig das für die Entsperrung des Bildschirms notwendige Swipe nach oben ist einhändig schwer zu bewältigen. Und für die vernünftige Bedienung vieler Apps wird man auch weiterhin zweihändig vorgehen müssen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Der Bildschirm selbst hinterlässt einen guten Eindruck. Das OLED-Panel liefert kräftige, aber keine künstlich überbetonten Farben, gute Kontraste und eine maximale Helligkeit, die beim Ansehen von HDR-Videos auf bis zu 1200 nits ansteigt. Im Normalbetrieb liegt das Maximum bei 800 nits, was auch unter Sonnenlicht gute Ablesbarkeit garantiert, zumal der Bildschirm auch gut entspiegelt ist. Die Auflösung von 2532 x 1172 Pixel entspricht gängigem "Full HD"-Standard und liegt geringfügig höher als beim Vorjahres-Pro-Modell. Wer will, kann via "Truetone"-Sensor die Farbtemperatur ans Umgebungslicht anpassen lassen, was tatsächlich ganz angenehm ist.

Unter der Haube ist der neue A14 Bionic-Chip im Einsatz. Sowohl Benchmark, als auch der praktische Einsatz bescheinigen ihm mehr als genug Leistung für alle Szenarien der Smartphone-Nutzung, vom Browsen bis hin zu aufwändigen 3D-Games. Das Handy etwas länger mit höheren Grafikansprüchen zu quälen sorgt für eine merkbare Erwärmung, die aber kein unangenehmes Ausmaß erreicht.

Foto: DER STANDARD/Pichler

iOS 14

Vorinstalliert ist iOS 14, das einige neue Features mitbringt. In Sachen Interface sind das Widgets und ein Appdrawer, den Apple "App-Mediathek" nennt. Erreichbar ist er per Swipe von der letzten Seite des Homescreens aus. Mit klassischen Android-Appdrawern lässt sich dieses Feature allerdings nicht vergleichen. Denn Apps werden automatisch in verschiedene Gruppen (Spiele, Reisen, Produktivität und Finanzen etc.) sortiert. Einen Einfluss auf die Einteilung oder selbst die Anordnung dieser Kategorien hat man nicht. Und auch das manuelle verschieben von Apps zwischen den Kategorien ist nicht möglich.

Als zweite Funktion, die man herausstreichen darf, ist das Übersetzungstool, das Text und Audio von einer Sprache in eine andere überführen kann. Es funktioniert über die "Neural Engine" des A14-Chips auch ohne Internetverbindung und bei Sprachaufnahmen mit nur wenigen Sekunden Verzögerung, was es potenziell zu einem sehr nützlichen Tool für einfache Konversationen in unterstützten Fremdsprachen macht.

Bei manchen skurrilen Wortfolgen hilft auch das beste Übersetzungstool nicht.
Foto: Screenshot

Die Übersetzung ist auf Audiosegmente mit maximal circa 10 Sekunden beschränkt. Das Verstehen von Gesagtem – getestet mit englischsprachigen TV-Clips auf Youtube, die über die PC-Lautsprecher wiedergegeben wurden – funktioniert recht genau. Fallweise werden einzelne Wörter bei mehrfachen Tests unterschiedlich verstanden. Und die Übersetzungen halten sich nicht immer an den Kontext des Gesagten. Hinweis: In die Bewertung des Smartphones fließen diese zwei Neuerungen nicht ein, da sie allen oder fast allen Apple-Geräten zur Verfügung stehen, auf denen iOS 14 installiert werden kann.

Kamera

Nun aber zur Kamera, die einmal mehr das Herzstück der Vorstellung des iPhone 12 Pro war. Eigentlich recycelt das Handy das Kamera-Setup seines direkten Vorgängers, ergänzt es aber um neue Linsen und den Lidar-Sensor. Erst das im November erscheinende iPhone 12 Pro Max wird einen neuen, größeren Sensor mitbringen, der dann auch 2,5-fache Vergrößerung erlaubt. Das "normale" Pro-Modell bietet weiterhin maximal 2-fachen Zoom.

Foto: Screenshot

Lidar, ein Laser-basierter Tiefensensor, bringt dem Handy nicht nur etwas für Augmented Reality-Spielereien, sondern soll auch das Fokussieren beschleunigen und den Porträtmodus verbessern. Und zumindest für näher gelegene Motive funktioniert das auch tadellos. Selbst das Fokussieren kleinerer Objekte klappt meist auf den ersten Anhieb. Aber auch bei weiter weg gelegenen Motiven und bei schlechten Lichtbedingungen stellt das iPhone 12 Pro schnell scharf. Die Erkennung von Motivkanten im Porträtmodus funktioniert sowohl über die Haupt-, als auch über die Frontkamera (die keinen Lidar-Support genießt) zuverlässig. Das ist auch wichtig für die Anwendung diverser Augmented-Reality-Effekte, die darauf setzen, dass etwa eine fotografierte Person auch sauber vom Hintergrund getrennt werden kann.

Hinsichtlich der Bildqualität spielt Apple in der Liga weit vorne mit. Allerdings sollte man sich von der Darstellung am Display nicht täuschen lassen. Ein genauerer Blick auf die Aufnahmen zeigt, dass beispielsweise Google oder Samsung in manchen Situationen etwas effektiver darin sind, Bildrauschen fast ohne Qualitätsverlust zu reduzieren. Hier gibt es speziell unter Verwendung des 2-fach-Zooms definitiv noch Luft nach oben.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Die Farbdarstellung ist meist recht realistisch, bei etwas schlechterem Wetter (bewölkt mit Sonnenschein durch eine dünne Wolkendecke) erscheinen Farben auf anderen Bildschirmen – getestet auf einem IPS-Computermonitor – tendenziell etwa fahl. Wer dies bereits im Vorhinen korrigieren will, kann die Truetone-Umgebungslichtanpassung des iPhone-Displays abdrehen, um einen besseren Eindruck zu bekommen und mit den mannigfaltigen Nachbearbeitungsoptionen der Galerie-App nachzuhelfen.

Der Nachtmodus, jetzt auch für Porträts zur Verfügung steht, bringt gute Ergebnisse, hält aber nach subjektiver Einschätzung bei schwierigen Bedingungen, wie etwa eine befahrene Straße und Gebäude mit künstlicher Außenbeleuchtung – nicht ganz mit dem mit, was etwa Google und Huawei imstande sind zu liefern. Etwas ärgerlich ist, dass er nicht dezidiert aktiviert werden kann. Erst wenn das Handy der Ansicht ist, dass die Lichtbedingungen schlechter sind, lässt er sich einschalten. Ab einer gewissen Helligkeitgrenze aktiviert er sich automatisch.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Ein Feature, das manche andere Flaggschiffe mittlerweile bieten, geht der Kamera allerdings ab. Und zwar eine Makrofunktion. Der Mindestabstand zu Motiven ist schlicht zu groß, um kleine Objekte ohne dem Zweifach-Zoom gut einfangen zu können. Und die Vergrößerung wirkt sich wiederum eher nachteilig auf die Qualität des Resultats aus.

In Sachen Bearbeitung sollen sich künftig auch Hobbyisten und Profis noch besser austoben können. Denn Apple hat eine Erweiterung des RAW-Formats unter dem Namen "Pro RAW" angekündigt. Das Feature wird allerdings erst per iOS-Update nachgeliefert und war zum Testzeitpunkt noch nicht verfügbar.

Akustik

In Sachen Akustik hat Apple ganze Arbeit geleistet. Für ein Smartphone klingt die Stereo-Wiedergabe über die integrierten Lautsprecher sehr gut. Bässe leiden, wenn man die Lautstärke voll aufdreht, darüber hinaus hält das Handy qualitativ hier zumindest mit günstigeren Bluetooth-Lautsprechern mit. Bei Telefongesprächen wünscht man sich, die andere Person vielleicht noch etwas lauter stellen zu können, darüber hinaus ist die Ton- bzw. Sprachqualität in beide Richtungen sehr gut.

Auch bei der Beschallung über Bluetooth-Ohrhörer gibt es keinen Grund zur Kritik, etwaige Probleme dürften hier in der Regel dem jeweiligen Accessoire zuzuschreiben sein. Gemischte Gefühle löst allerdings aus, dass Apple nun darauf verzichtet, kabelgebundene Kopfhörer (Earpods) beizulegen. Das mag für Bestandskunden tolerierbar sein, die darüber ohnehin schon verfügen. Neukäufer müssen hingegen extra Geld investieren oder einen Lightning-zu-Klinke-Adapter für ihre aktuellen Hörer kaufen, denn auch ein solcher fehlt.

Foto: DER STANDARD/Pichler

5G und Akkulaufzeit

Ebenso fehlt in der Verpackung nun auch das Ladegerät. Auch hier argumentiert Apple mit Umweltgründen und dass viele Leute wohl bereits einen Charger haben, dürfte nicht ganz aus der Luft gegriffen haben. Aber auch das gilt nur für Leute, die bereits ein neueres Apple-Gerät besitzen. Alle anderen müssen ein Ladegerät mit USB-C-Port zukaufen, denn nach wie vor verfügen die meisten über einen "traditionellen" USB-A-Ausgang. Ein Schelm, wer denkt, der iPhone-Hersteller will hier sein Zubehör-Geschäft mit ankurbeln.

Die Laufzeit des 2815-mAh-Akkus des iPhone 12 Pro ist, soweit es sich nach einem Wochenendtest sagen lässt, "okay". Intensivnutzer kommen mit nicht all zu großen Reserven in den Abend. Wer nur hin und wieder zum Handy greift, braucht sich keine Sorgen machen. Verwendet man das Handy allerdings, um ausdauernd anspruchsvollere Games zu spielen oder surft bevorzugt mit 5G, wird ein Tankstopp notwendig. Letzteres Szenario ist aktuell daher kaum für jemanden relevant, denn die Netze sind noch in einem recht frühen Ausbaustadium.

Der 5G-Empfang jedenfalls funktioniert mit dem neuen Smartphone problemlos. Standardmäßig wird auf die Inanspruchnahme verzichtet, wenn man nicht gerade etwas tut, das höhere Bandbreiten benötigt. Wer möchte, kann in iOS aber auch einstellen, dass 5G immer verwendet wird, wenn es möglich ist – wovon allerdings aus erwähnten Gründen abzuraten ist.

Das Wiederaufladen dauert mit dem Ladeadapter des aktuellen iPhone SE (5 Watt) rund drei Stunden. Knapp zwei sind es mit einem üblichen Ladegerät mit 12 Watt. Apple selbst bietet ein 20-Watt-Ladegerät mit USB-C um 25 Euro an, damit soll sich das iPhone 12 Pro binnen 30 Minuten von null auf 50 Prozent aufladbar sein. Bekannte Dritthersteller wie Anker bieten derlei Accessoires auch schon für weniger Geld an.

Auch das drahtlose Aufladen des Handys auf einem Qi-Ladestand klappte im Test ohne Probleme, hier wird maximal eine Leistung von 7,5 Watt unterstützt. Es sei denn, man holt sich Apples eigenen Wireless Charger mit Magsafe-Konnektor. Für diesen verspricht Apple einen Durchsatz von 15 Watt. Das konnte mangels diesem Zubehör allerdings nicht erprobt werden. Gleiches gilt auch für anderes magnetisches Accessoire wie Hüllen oder Geldkartenhalter.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Fazit

Die Liste neuer Features des iPhone 12 Pro ist relativ lang. Sieht man allerdings von 5G ab, sind es allerdings nur Fortschritte inkrementeller Natur. Der Lidar-Sensor hilft der Kamera und ermöglicht neue Augmented-Reality-Anwendungen. Ersteres sorgt für bessere und flotter geschossene Fotos, Zweiteres bleibt vorläufig eine Erweiterung, für die es noch an zugkräftigen Apps fehlt. Der (nicht getestete) Magsafe-Konnektor ermöglicht es Apple, eine neue Zubehörschiene für sich und seine Partner zu eröffnen, ob er ein "Killerfeature" ist, darf zumindest sachte angezweifelt werden.

Dass sich iOS und Android sich zunehmend ähnlicher werden, hat den Vorteil, dass die Umstellung mittlerweile deutlich leichter fällt. Es gibt dann aber doch die eine oder andere Kleinigkeit, etwa ein "konventioneller" Appdrawer, die ich vermisse oder mit der ich mich nur schwer anfreunden kann. Die Verlockung ist durchaus da, wäre neben dem geschmalzenen Preis nicht noch ein anderer "Dealbreaker": Nämlich dass Apples goldener Käfig merklich restriktiver ist, als jener von Google. Apps zu installieren, die nicht im App Store sind, ist praktisch unmöglich. Seit der alternative Appstore Cydia das Handtuch geworfen hat, sind Jailbreaks eigentlich nur noch für Sicherheitsforscher interessant. Unter Android muss man nach wie vor nur eine Systemeinstellung ändern, um eine neue Quelle für Apps abseits des Play Stores zu genehmigen.

Das reine Hardwarepaket macht einen hervorragenden Eindruck, selbst auf einen gestandenen Android-Nutzer wie mich. Das reicht von der Verarbeitung, über das Display, die Kameras und auch den Sound. Einzig bei der Akkulaufzeit kommt Apple nicht über den oberen Durchschnitt hinaus. Ob das in Summe 1150 Euro oder mehr wert ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Wer schon ein iPhone Pro bzw. Max der letzten zwei bis drei Jahre sein Eigen nennt, macht ein überschaubares Upgrade. Für alle mit älteren Apple-Handys, die dem Hersteller die Treue halten möchten, ist es sicher eine ausgezeichnete Wahl. (Georg Pichler, 26.10.2020)

Testfotos

Zur Ansicht des Originals bitte die Bildbeschreibung anklicken.

Abend, Weitwinkel
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tele
Foto: DER STANDARD/Pichler
2x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
Weitwinkel
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht, Tele
Foto: DER STANDARD/Pichler
2x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Selfie (Ausrichtung nur in der Vorschau falsch)
Foto: DER STANDARD/Pichler
Selfie (Porträtmodus)
Foto: DER STANDARD/Pichler
Porträtmodus (mit Effekt "Kantenleuchten")
Foto: DER STANDARD/Pichler
Porträtmodus (mit Effekt "Bühnenlicht")
Foto: DER STANDARD/Pichler
Kunstlicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Pseudo-Makro (2x-Zoom), Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Nachtmodus
Foto: DER STANDARD/Pichler
Nachtmodus
Foto: DER STANDARD/Pichler