Musste sich im Wahlkampf wohl kaum über den Inhalt von Postwurfsendungen und Gratismedien in Wien ärgern: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).

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In Wahlkampfzeiten steht man kurz vor einem Verfolgungswahn. Wohin man sieht, sie sind überall: die Parteien und ihre Spitzenkandidaten. Ob Plakatwände, Dreiecksständer am Gehsteigrand oder die personifizierte Wahlwerbung im Postkasten, man wird geradezu überschwemmt von Wahlkampfmaterial. Etwas unter dem Radar laufen Gratiszeitungen, die viele Empfänger wohl gleich in den nächstgelegenen Altpapiercontainer schmeißen. Was dabei untergeht, ist, wie viel Geld wahlwerbende Parteien für die triefend positiven Geschichten in solchen Postillen stecken – und wer eigentlich dahintersteht.

Einer dieser Menschen ist Michael Fritscher. Der ehemalige Manager der Transportfirma Hallermobil setzte wenige Monate vor der Wien-Wahl das Kleinformat Sprich! auf. Zuvor war Fritscher schon Herausgeber der Hietzinger Zeitung, die im Frühjahr dieses Jahres das neue Label vor den Bezirk in den Titel setzte. Von Hietzing aus vergrößerte sich Sprich! vor der Wahl immer stärker. Im April gab es zunächst nur Ausgaben in Hietzing und Döbling, ab Mai auch in der Leopoldstadt, im Juli folgte Mariahilf, und ab August lag Sprich! auch in den Postkästen in Wien-Landstraße. Die gedruckte Auflage lag ab August laut eigenen Angaben bei 233.000 Exemplaren (exklusive Simmering, dorthin wurde erst ab September verschickt).

Der Dank der Sozialdemokratie

Dass Fritscher ein gutes Verhältnis zur Sozialdemokratie pflegt, zeigt nicht zuletzt die Sympathie der SPÖ. Die Hietzinger Genossen dankten allen voran dem "Team der Hietzinger Zeitung unter der Führung von Herausgeber Michael Fritscher", mit ihm und gemeinsam mit der Personalvertretung des Krankenhauses in Hietzing sei es möglich geworden, Unternehmen an Land zu ziehen, um "kleine Gesten des Danks" für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Spitals im Zuge der Corona-Krise zu organisieren.

Sprich! selbst bezeichnet sich als "strikt überparteilich". Wie das in der Praxis aussieht? Von sechs Artikeln, in denen es nur um einen Politiker geht, handelten in der Ausgabe vom September fünf von SPÖ-Politikern. Eine Ausgabe davor: vier von vier. In fast jeder Ausgabe groß abgebildet: Ex-Bundesgeschäftsführer und Faymann-Vertrauter Gerhard Schmid, jetzt nur mehr Gemeinderat in Wien. Die Roten werden als Macher präsentiert: Gesundheitsstadtrat Peter Hacker setzt sich da schon einmal für die "beste Diabetesversorgung in Wien" ein, und Bürgermeister Michael Ludwig "sichert" eine Gratis-Impfaktion, die er gleich selbst testet und – gut abgelichtet – völlig überraschend für gut befindet.

Schon die Hietzinger Bezirkszeitung wies Verbindungen zur Partei auf. Sie wurde einst von Walther Schnopfhagen herausgeben. Der ist wiederum verheiratet mit Susanna Metzger, einst Kabinettschefin von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Zuständig für Kampagnen- und Kooperationsmanagement bei Sprich! ist Tom Woitsch, einst Rathaussprecher.

In der SPÖ sieht man Fritscher nicht als langjährigen Genossen. Vielmehr suche dieser mit seinem "Positivmedium" Kontakt zu allen Parteien, heißt es dort. Man schätzt aber die Zusammenarbeit. "Man kann dort anrufen und sagen, dass man eine Veranstaltung oder dies und das hat, darum bitten, dass sie darüber berichten, das macht er eigentlich mit allen." Dass in dem jungen Medium Sprich! auf Anhieb doch einige Inserate der SPÖ und der rot geprägten Bereiche der Stadt Wien bis hin zur Mietervereinigung enthalten sind, schreibt man Fritschers Kontakten aus seiner Zeit im Marketing und nicht einer möglichen Parteinähe zu. "Wenn er von der konservativen Seite etwas bekommt, wird das für ihn auch kein Problem sein", sagt ein Genosse hinter vorgehaltener Hand.

Alle eingeladen, "mit Inhalten mitzuwirken"

Versucht man bei Chefredakteur Michael Fritscher mehr über diese Zeitung zu erfahren, wird mit merkwürdigen Fragen reagiert: "Wir ersuchen um Informationen, in welchem Auftrag Sie besagte Recherche durchführen", heißt es da. SPÖ-nah sei man jedenfalls nicht, man lade "mit jeder Ausgabe die relevanten Bezirkspolitiker aller Fraktionen ein, mit Inhalten mitzuwirken". Und weiter: "Die bei uns eingehenden Stellungnahmen und Beiträge geben wir im O-Ton wieder, denn es ist nicht unsere Aufgabe, Meinungen zu bilden, sondern Infos zu transportieren. Wie und in welcher Form das auch von den Angesprochenen genutzt wird, ist durchaus unterschiedlich."

Und wie kamen die beiden Gesellschafter Peter Engel und Eleonora Lender ins Medienbusiness? "Allfällige Interna" könne man nicht kommentieren, so Fritscher. Er selbst hat eine geschäftliche Vergangenheit mit Lender und Schnöpfhagen in der "IPT Einkaufsmanagement & Marketing GmbH". Engagiert haben sich die drei auch bei der "Austrian Chinese Business Association"; außerdem ist Fritscher bei einer Holding mit Sitz in Bratislava. Erfahrung sammelte er bis 2016 bei Firmen des blauen Ehepaars Kolm.

Von den sechs Bezirken, in denen Sprich! erscheint, wechselten zwei bei der Wien-Wahl ihre Färbung Richtung Rot (Leopoldstadt, Simmering); zwei gelten als Hochburg der ÖVP (Hietzing, Döbling) und zwei als langfristig grün-affin, aber noch klar rot (Mariahilf, Landstraße). Warum gerade diese Bezirke? Neben Döbling als Heimatbezirk von Fritscher wurde "nach Auswahlkriterien wie Kaufkraft der Haushalte, Kulturinteressen und politischen Gegebenheiten festgelegt. Nachdem bereits zwei Bezirke mit Bezirksvorstehung ÖVP umgesetzt waren, ist es im Rahmen der Ausgewogenheit ein logisches Anliegen gewesen, auch Bezirke mit BVs der SPÖ, FPÖ und der Grünen umzusetzen."

"Das mit der SPÖ ist Zufall"

Wienweit zugestellt wird Das Wien, das bereits vor zwei Wahlgängen Premiere gefeiert hat. Im Jahr 2010 schlug das Medium erstmals auf und sorgte gleich mit einem Inserat des damaligen Kärntner Landesjugendreferenten Uwe Scheuch (FPK) für Aufregung. Gute Kontakte zur FPÖ blieben erhalten, in Richtung SPÖ wurden sie aufgebaut. Auch hier taucht der Name Gerhard Schmid auf: Dessen Mitarbeiter Alexander Rinnerhofer, der auch für Faymanns Personenkomitee trommelte, wechselte 2017 für ein paar Monate zu Das Wien.

Wie kommt es, dass auch hier ein breiter Überhang an SPÖ-Inhalten besteht? "Unpolitisch – nach Themen-Auswahl – das mit der SPÖ ist Zufall", antwortet Herausgeber Heinz Knapp. Er versuchte einst, den legendären Circus Knie zu retten; jetzt ist er bereits über ein Jahrzehnt im Medienzirkus. Sind Chefredakteur Harald Raffer und Harald Raffer, der Sprecher der Stadtwerke im rot regierten Klagenfurt, ein und dieselbe Person? "Ja", sagt Knapp.

Eine rote Ergänzung

Die beiden Gratismedien ergänzen das breite Netz an SPÖ-freundlichen Publikationen, die Besitzer eines Wiener Postkastls genießen können. Das riesige Echo-Medienhaus wurde 2014 überfallsartig privatisiert, es hätte sonst zu Konflikten mit dem Parteiengesetz kommen können. Feindlich gesinnt stehen die jetzigen Besitzer der SPÖ wohl kaum gegenüber. Sie bringen das Wiener Bezirksblatt, das Vor-Magazin und Wienlive heraus. Aber ein Blick auf die Inserate der Stadt Wien und ihrer Holdings zeigt, dass die rot-freundlichen Medien auch außerhalb des Echo-Medienhauses zu finden sind. Etwa Zuhause, das Magazin für Gemeindebaubewohner, das vom AWG-Verlag herausgegeben wird. Dessen Geschäftsführerin lernte bei Echo.

Heikel: Auch für Unsere Brigittenau gab es im zweiten Quartal 2020 Inserate der Stadt Wien – obwohl es sich dabei um die Zeitung der SPÖ Brigittenau handelt. Ein Fall von direkter Parteienfinanzierung durch die öffentliche Hand? Laut Experten sei das bei Inseraten schwierig nachzuweisen, da man einen "tatsächlichen Werbewert" feststellen könne. Das gilt wohl auch für Unsere Generation, das Magazin des roten Pensionistenverbands. Geworben wurde dort zum Beispiel für die Grippeimpf-Aktion der Stadt Wien.

Unbestritten ist jedenfalls, dass sich die SPÖ in Wien über kaum eine Postwurfsendung mit Gratismedien ärgern muss. Beim Wahlsieger zeigte man sich überrascht über die Anfrage des STANDARD zu den beiden Medien, verstand nicht ganz, warum man mehr zu den beiden Kooperationen wissen möchte. Immerhin würden auch andere Firmen oder Organisationen in diesen Publikationen inserieren. Sprich! und Das Wien wurden der SPÖ jedenfalls als "langfristige Medienprojekte" vorgestellt und waren in der Partei als solche auch bekannt. "Im Vorfeld der Wahlen sind die Medien auf uns zugekommen, und wir haben eine entsprechende Vereinbarung getroffen", erklärt eine Sprecherin dem STANDARD. Im Zuge der vergangenen Wien-Wahl habe man "diverse" Medienkooperationen abgeschlossen. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 3.11.2020)