Kurz, Anschober und Co reden on the record, bei Experten greift die Off-Recorditis um sich.

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Das Problem kennen Journalisten, die zu Covid-19 recherchieren: Man ruft bei einer Expertin oder einem Experten an, bekommt eine interessante und sehr differenzierte Auskunft. Und am Ende heißt es: "Das war natürlich ‚off the record‘." Soll heißen: Man darf zwar berichten, was die Expertenperson inhaltlich gesagt hat – man darf sie aber nicht persönlich zitieren, der Mensch hinter der Geschichte will nicht öffentlich zu seinen Worten stehen. Szenarien wie dieses sind keine Einzelfälle – die Off-Recorditis greift um sich. Das ist bedauerlich. Denn Politiker reden umso mehr. Und umso widersprüchlicher. Bei vielen Menschen entsteht so der Eindruck: Es sind die Politiker, die das Coronavirus in Österreich bekämpfen – und man weiß nicht recht, ob sie genau wissen, was sie tun.

Anders ist das etwa in Deutschland, wo die Bühne seit Beginn der Pandemie vor allem den Experten gehört. Oder im von Covid-19-Infektionen schwer getroffenen Belgien, wo das Corona-Expertinnenteam regelmäßig wichtige Erkenntnisse aus Testungen, Contact-Tracing und Infektionszahlenentwicklung veröffentlicht.

Mit voller Kontrolle über das Gesagte

Das Selbstverständnis in Wissenschaft und Forschung in Österreich ist offensichtlich ein anderes. Man will zwar gerne über die eigene Arbeit reden – aber nur in einem streng abgezirkelten, geschützten Bereich, mit voller Kontrolle über das Gesagte. Das ist einerseits verständlich: Nur wenige Wissenschafter sind auch geschult im Umgang mit Medien – und anders als im angloamerikanischen Raum gibt es hierzulande keine Tradition, dass Forscher ihr geballtes Wissen auch noch griffig formulieren und präsentieren. Und es ist auch nicht jedermanns Sache, das Wesentliche klar, unmissverständlich und damit unangreifbar in bekömmlichen Sendeminuten-Happen zu servieren. Zudem neigt die Facebook- und Twitter-Community dazu, von Mainstream abweichende Meinungen gleich einmal rundweg zu verdammen – und viele Experten wollen sich digitalen Shitstorms nicht aussetzen. Obendrein geht es um die Reputation: Wer allzu griffig und Schlagzeilen-adäquat formuliert, muss fürchten, von Kollegen und Konkurrenten nicht ernst genommen zu werden und Karrierenachteile zu haben.

Selbstbewusstseinsschub bei den falschen Experten

Andererseits führt die Zurückhaltung der wirklichen Experten zu einem Selbstbewusstseinsschub bei den falschen. Es äußern sich oft nicht die, die etwas zu sagen hätten – sondern jene, die nichts oder nur wenig von der Sache verstehen. Das wiederum führt zu neuen Unsicherheiten und befeuert die Corona-Ermüdung in der Bevölkerung.

Die wahren Expertinnen und Experten, jene, die zum Gegenstand forschen, sollen sich kritisch vor den Vorhang trauen. Es ist in Österreich nicht gefährlich, anderer Meinung zu sein. Es kann maximal ungemütlich werden. Ziemlich ungemütlich zwar – wenn man sich etwa das Niveau mancher Debatten in sozialen Medien oder die Reaktion einiger politisch Verantwortlicher, wenn sie Widerspruch orten, ansieht.

Besonderes Maß an Zivilcourage

Trotzdem: Fundierte kritische Auseinandersetzung mit den Maßnahmen der Regierung, mit der Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus ist wichtig, um einen eigenverantwortlichen Umgang mit dem Virus zu gewährleisten. Es sind besondere und besonders schwierige Zeiten, sie erfordern ein besonderes Maß an Zivilcourage. Die Herausforderung ist zu groß, um sie der Politik zu überlassen. (Petra Stuiber, 26.10.2020)