Kanzler und Bundespräsident riefen dazu auf, nicht die Nerven zu verlieren und den Maßnahmen zu folgen

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Zwölf Rekruten, drei Politiker und eine Handvoll Geistliche und Militärangehörige: So leer war der Heldenplatz am Nationalfeiertag noch nie. Allein diese Inszenierung machte klar, dass sich das an diesem Tag gefeierte Österreich nach wie vor im Ausnahmezustand befindet.

Das ermüdet und zermürbt, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen in ihren Reden zu verstehen gaben. Allerdings sei es essenziell, jetzt nicht lockerzulassen.

"Auch ich möchte keine Maske tragen müssen, keine Einschränkungen erdulden und Feste feiern, wenn es mir gerade passt", sagte Kurz. Aber als Regierungschef sei es nicht seine Aufgabe, "Ihnen zu sagen, was Sie hören wollen, sondern Ihnen eine ehrliche Erläuterung zu geben. Und daher muss ich Ihnen leider sagen: Es ist alternativlos."

Man werde noch "viele Monate" mit dem Virus leben und zusammenhalten müssen. Die Regierung werde und könne "nicht zulassen, dass unsere Intensivkapazitäten überfordert werden und Menschen in Österreich nicht mehr versorgt werden können".

"Wenn Frust, Unmut oder Wut stärker werden, erinnern wir uns, dass diese Krise nicht von Dauer, sondern ein Ende absehbar ist", so Kurz. Jeder könne froh sein, in Österreich zu leben, das über ein starkes Gesundheitssystem verfüge, sagte Kurz. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen schlug in dieselbe Kerbe.

"Wut und Angst sind schlechte Ratgeber. Sie vernebeln unser Denken und leiten unser Handeln in falsche Richtungen. Wie wäre es, wenn wir die Wut einfach sein lassen würden?", so Van der Bellen, dem klar ist, dass die Pandemie "uns allen ordentlich auf die Nerven" geht. Er forderte "faktenbasiertes Handeln" und "verständliche Kommunikation" ein.

Die Angst vor dem Lockdown

Schon am Wochenende zuvor hatte die Regierung versucht, den Ernst der Lage zu kommunizieren. Die Grundbotschaft war zwar bei Kanzler Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) dieselbe, allerdings mit stark unterschiedlichen Nuancen. War es Kurz, der noch vor wenigen Wochen vom "Licht am Ende des Tunnels" sprach – wenngleich nach schwierigen Monaten in Herbst und Winter –, so meinte nun Anschober im Interview mit der Presse, man könne bei einer Stabilisierung der Zahlen "halbwegs entspannte Weihnachten und – warum auch nicht? – Weihnachtsmärkte haben".

Ein Lockdown zum Drosseln der Neuinfektionen ist für Anschober "sehr unwahrscheinlich", für Kurz "die letzte Maßnahme". Allerdings gab der Kanzler erneut via Gratiszeitung Österreich zu Protokoll, er habe schon länger auf restriktivere Maßnahmen gedrängt.

Tatsächlich hat sich Gesundheitsminister Anschober in seiner Prognose deutlich verschätzt. So sagte Anschober Mitte September, "entweder pendeln wir uns bei 650 Neuinfektionen ein, oder wir haben bald exponentielle Steigerungen auf 1500 Fälle pro Tag". Am Wochenende war mit 2456 Neuinfektionen der höchste jemals an einem Sonntag vermeldete Wert verlautbart worden.

Kritik am Krisenmanagement der Regierung gab es von der Opposition. "Die Regierung muss die zentrale Verantwortung im Krisenmanagement übernehmen. Moderieren allein ist zu wenig", so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die nun einmal pro Woche als Ärztin beim Samariterbund mithelfen will.

Die FPÖ stieß sich an der "Inszenierung" des Nationalfeiertags. 65 Jahre nach der Unabhängigkeit Österreichs sei man wieder in einer "Zeit der Unfreiheit". "Aber der Anblick von Besatzungssoldaten hat auch einmal zur Normalität gehört – trotzdem war jeder froh, dass dies nach zehn Jahren vorbei war", erklärte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger bemängelte in der Zeit im Bild 2 am Sonntag, dass die Regierung gleich nach der Einführung von Maßnahmen über neue Restriktionen nachdachte. Über den Sommer sei wertvolle Zeit verschwendet worden, so die pinke Klubobfrau.

Regierungswunsch an ORF

Wenig harmonisch geriet in sozialen Medien auch eine Diskussion rund um den Flug der Eurofighter und Saab 105, die zum Nationalfeiertag Wien überquerten. "Manche Zeitgenossen hyperventilieren, weil die Eurofighter 1x in 10 Jahren über Wien fliegen", twitterte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Michael Bauer. "Die Luftraumüberwachung ist Teil unserer Verfassung. Lehnen diese Mitbürger nur das Bundesheer oder die gesamte Verfassung ab?"

"PR-Flüge mit Abfangjägern am Nationalfeiertag sind in der Verfassung vorgeschrieben? Echt jetzt?", wunderte sich ZiB 2-Anchor Armin Wolf. Bauer versuchte daraufhin zu scherzen: "In Wirklichkeit machen wir es nur deshalb, weil uns der ORF darum gebeten hat."

Der ORF erklärte auf STANDARD-Anfrage, er hatte auf den Eurofighter-Einsatz wie auf andere Programmpunkte "keinen Einfluss". Die Aussage von TV-Innenpolitikchef Hans Bürger, die mehrstündige Übertragung zum Nationalfeiertag gehe auf eine "überlegenswerte Anregung" aus der Regierung zurück, kommentierte der ORF auf Anfrage nicht. (Fabian Schmid, Harald Fidler, 26.10.2020)