Das Juristendeutsch ist ein Fundus für hässliche Wortkreationen.

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Es ist kein Geheimnis, dass Juristen gerne hässliche Begriffe verwenden (Ausgedinge, Ein- und Auslauf, Verfahrensbeholfener und so weiter). So weit, so bedauerlich. Aus dieser Masse des Reizlosen stechen aber einige Wortschöpfungen hervor, die so grauenvoll sind, dass sie auf Sprachkongressen seit Generationen für entsetztes Raunen sorgen:1

  • anheimfallen: Fluchbeladenes Verb, das ausnahmslos Kümmernisse mit sich bringt, etwa Abweisungen2, Aufhebungen,3 Nichtigkeiten,4 Verwerfungen5 und Unwirksamkeiten.6
  • beamtshandeln: Als Substantiv gerade noch erträglich (Amtshandlung), als Verb nicht mehr.
  • fallaktuell: Sprachglossenaktuell steht dieses Wort nicht nur alphabetisch weit oben.
  • Deposition: Hochgestochenes Wort für Aussage; wird außerhalb der Jurisprudenz offensichtlich nur in der Chemie verwendet, nämlich für die Ablagerung von Schadstoffen. So gesehen in vielen Fällen sehr passend.
  • dergestalt: Siehe -> solcherart.
  • fraudulös: Hierzulande vor allem als fraudulos bekannt,7 was aber wiederum dem Duden unbekannt ist; dürfte aus Frankreich kommen (frauduleux). Eine gelungene Mischung aus Schwulst und Schwerfälligkeit.
  • Generalien: Gibt es offenbar nur im Plural. Wer sie angeben muss, wird gerade -> beamtshandelt und hat danach oft nichts mehr zu lachen. Eng verwandt mit -> Nationale.
  • geflissentlich: Steht für eine besonders bösartige Form von wissentlich. Einmal warf einer dem OGH vor, ein Argument geflissentlich unterschlagen zu haben, was zu dessen legendärer Replik führte: "Der erkennende Senat kann auch im vorliegenden Fall an die Grundsätze seiner Entscheidung SZ 61/148 […] anknüpfen, die mit Ausnahme unqualifizierter Äußerungen eines Universitätsassistenten (ecolex 1994, 81), die nicht Anspruch darauf erheben können, vom Senat eines Höchstgerichtes beachtet zu werden, überwiegend zustimmend aufgenommen wurden […]".8
  • glaublich: Uraltes Adjektiv; war ursprünglich das harmlose Gegenstück zu unglaublich (es ist kaum glaublich), hat sich aber in der Juristensprache zum Ersatz für ich glaube gewandelt (möglicherweise Verballhornung aus glaube ich -> glaub‘ ich -> glaubich -> glaublich). Klassisches Protokolldeutsch, mit anderen Worten: Kein Mensch redet so (von den -> Malversationen habe ich -> hiergerichtlich glaublich zum ersten Mal erfahren).
  • hiergerichtlich: Sehr beliebt. Vermutlich aus hieramts entstanden, das wiederum hierorts entsprungen sein dürfte; später zum kühnen dortgerichtlich weiterentwickelt. Kommentar überflüssig.
  • Machinationen: Werden unmittelbar nach Klärung der -> Generalien besprochen und existieren offenbar nur als Substantiv. Wo Machinationen sind, sind auch Agitationen und Malversationen nicht weit.
  • nachgerade: Bedeutet buchstäblich, geradezu, regelrecht. Nachgerade eines der beliebtesten Juristenadverbien.
  • Nationale: Österreichisches Polizeisprech, dem Rest der Welt aber gänzlich unbekannt. Numerus ungeklärt,9 möglicherweise Stoffname (Kontinuativum) ohne Plural wie Milch oder Gold. Entsprechen (entspricht?) inhaltlich ungefähr den -> Generalien. Kommt auch in energisch vorgetragenen Aufforderungen an Normunterworfene vor ("Nationale, bitte!").
  • Rechtsmittelwerber: Obrigkeitsjargon; Bedeutung rätselhaft, denn worum sollte derjenige, der ein Rechtsmittel einlegt, denn werben? Um die Gunst des Obergerichtes? Erscheint in verschiedenen Varianten, zum Beispiel Berufungs-, Einspruchs-, Fortführungs-, Rekurs-, Revisions-, Wiederaufnahme-, Wiedereinsetzungswerber. Hingegen: Wer sich beschwert, wirbt nicht, sondern führt (Beschwerdeführer), was ebenso schleierhaft ist. Den Fortführungsführer hat hingegen noch niemand verwendet, möglicherweise wegen der Abkürzungsproblematik (Fff), aber was nicht ist, kann ja noch werden.
  • rubrizieren: Taucht meist in der festen Wendung in umseits rubrizierter Rechtssache auf. Dazu wurde hierfachzeitschriftlich schon alles gesagt,10 außer vielleicht, dass auch umseits -> schlechterdings hässlich ist.
  • schlankerhand: Meint ohne lange zu überlegen und wird gerne benutzt, um lästigen -> Rechtsmittelwerbern einmal so richtig die Meinung zu sagen und deren Eingaben -> fallaktuell der Abweisung -> anheimfallen zu lassen.11 Wurde noch in Thomas Manns "Buddenbrooks" verwendet12 und dürfte kurz danach ausgestorben sein. Fast.
  • schlechterdings: Bedeutet gänzlich, schlichtweg, überhaupt, aber nur Ungebildete verwenden so lachhaft einfache Wörter.
  • solcherart: Anderer Begriff für -> dergestalt. Qual der Wahl!
  • subintelligieren: Ähnlich veraltet wie -> schlankerhand, verwendet etwa von Goethe in "Maximen und Reflexionen";13 unter österreichischen Juristen auch als subintellegieren bekannt.14 Was es bedeuten soll, weiß heute niemand mehr so genau, aber das stört nicht.

Unvorgreiflich weiterer Entdeckungen ist dieses Thema nunmehr erschöpft! (Michael Rami, 28.10.2020)