Ludwig will in Wien einen rosa-roten Weg gehen.

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Die langjährige Koalition mit den Grünen wird wohl nicht fortgeführt.

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Das Spekulieren hat ein Ende. Am Dienstag gab Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bekannt, dass er Koalitionsverhandlungen mit den Neos führen wolle. Im Parteipräsidium sei die Entscheidung einstimmig angenommen worden, im Landesparteivorstand habe es nur zwei Stimmen dagegen gegeben.

Eine Zusammenarbeit mit den Neos bezeichnete Ludwig als "mutigen neuen Weg". Man öffne die Tür für eine "Fortschrittskoalition".

Acht Untergruppen

Nur Stunden nach der Ankündigung der Wiener SPÖ sind am späteren Dienstagnachmittag die Verhandlungen offiziell gestartet. Um 17 Uhr trafen sich je drei Vertreter der beiden Parteien im Büro des Stadtchefs im Rathaus. SPÖ und Neos haben sich dabei auf erste Modalitäten zum weiteren Gesprächsverlauf geeinigt. Demnach werden acht Untergruppen die diversen Themenbereiche inhaltlich abarbeiten. Die ersten Teams sollen sich bereits am Mittwoch treffen.

Die acht Untergruppen heißen wie folgt: "Leistbare Stadt", "Lebenswerte Klimamusterstadt", "Moderne Stadt – Smart City", "Stadt des Wissens – Bildung", "Stadt der Arbeit – Arbeit und Wirtschaft", "Sozialer Zusammenhalt", "Respektvolles Miteinander" und "Transparente Stadt". Diese Teams sollen jeweils Fortschritte in ihrem Bereich erzielen.

Gesundheit und Wirtschaft zentral

Schon Mitte November will er ein Ergebnis der Verhandlungen präsentieren. Geht es nach Ludwig, soll es die erste rot-liberale Koalition Österreichs werden. Das Programm werde eine "deutlich sozialdemokratische Handschrift" tragen, aber auch Standpunkte der Neos widerspiegeln.

Eine Zusammenarbeit mit den Neos erscheine ihm am besten den "Herausforderungen der Zukunft" Wiens gewachsen, so der Bürgermeister. Insbesondere meint Ludwig die Aufgaben, die sich durch die Corona-Krise ergeben – sei es im Bereich Gesundheitsinfrastruktur oder in Sachen Wiederankurbelung der Wirtschaft.

Rot-Grün "keine Steine nachschmeißen"

Er habe sich nicht gegen eine Koalition entschieden, so Ludwig, und wolle Rot-Grün auch "keine Steine nachschmeißen". Eine Zusammenarbeit mit den Neos sei auch "mit einem Risiko behaftet", schließlich hätten diese "noch nicht viel Regierungserfahrung". Er habe aber in den Sondierungsgesprächen den Eindruck gewonnen, Klubobmann Christoph Wiederkehr (Neos) wolle "sich sehr ernsthaft an einer Koalition beteiligen".

Ab Dienstag will Ludwig mit seinem Gegenüber über das weitere Prozedere sprechen und dann in Arbeitsgruppen die Themenbereiche durcharbeiten. Erst "ganz am Ende" werde man die Ressortaufteilung und die personelle Besetzung besprechen.

Und wenn die Verhandlungen scheitern? "Wir führen jetzt einmal diese Gespräche offenen Herzens – mit dem Ziel, zu einem Abschluss zu kommen", so Ludwig. Sollte man mit den Neos zu keiner Einigung kommen, gebe es "erfreulicherweise andere Optionen für die SPÖ".

"Privatisierungen nicht im Vordergrund"

Von den Neos in der Vergangenheit erhobene Forderungen nach mehr Privatisierungen schloss Ludwig aus. "Es ist derzeit nicht die gesellschaftspolitische Phase, wo Privatisierungen im Vordergrund stehen", so der Bürgermeister. Kommunale Dienstleitungen sollen erhalten blieben, genauso die Zusammenarbeit mit allen Sozialpartnern. Das seien Punkte, die seien "nicht verhandelbar", so Ludwig.

Dennoch: Man sei "durchaus bereit, offenen Herzens auf die Neos zuzugehen". Das erwarte er sich auch von den Neos, so Ludwig.

Im Wahlkampf hatten die Neos gefordert, mit den Bildungsagenden betraut zu werden. Dazu sagte Ludwig, dass das Bildungsressort in den letzten Jahren "sehr stark geführt worden" sei. Und streute damit Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) Rosen. Er wolle den Neos aber durchaus die Möglichkeit geben, in einem Bereich Verantwortung zu übernehmen, "der dem Koalitionspartner wichtig ist".

SPÖ-Team soll bleiben

An seinem Regierungsteam wolle er am liebsten nichts ändern. Die Zusammensetzung der SPÖ-Stadträte habe sich bewährt, man habe es geschafft, "sehr breit zu wirken". Ludwig: "Mein Ziel wäre es, mit dem Team, das wir haben, weiterzuarbeiten."

Eine Ausweitung der Zahl an Stadträten schwebe ihm derzeit nicht vor. Es gelte, am Ende der Verhandlungen "die Kompetenzbereiche zuzuordnen". Laut Wahlergebnis hat die SPÖ Anrecht auf sechs Stadträte, ÖVP und Grüne auf jeweils zwei und die Neos auf einen.

Klimaschutz weiter zentral

Ludwig habe vor der Pressekonferenz Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) telefonisch über seine Pläne informiert, mit den Neos Verhandlungen zu führen. Er habe immer ein sehr professionelles Verhältnis zu ihr gehabt, so der Bürgermeister. Auch in Zukunft solle der Kampf gegen die Klimakrise in Wien geführt und entsprechende Maßnahmen gesetzt werden. "Wir können das, wir nehmen die Herausforderung an", so Ludwig.

Hebein selbst bezeichnete die Ankündigung Ludwigs als "keine erfreuliche Entscheidung" und will die Türen für Verhandlungen weiterhin "offen halten". Sie wolle abwarten, "ob es tatsächlich möglich ist, bei diesen inhaltlichen Differenzen" zwischen Neos und SPÖ zu einem Koalitionsabkommen zu kommen. Personelle Konsequenzen will Hebein vorerst keine ziehen, schließlich habe sie das beste Ergebnis der Geschichte erreicht.

Der Chef der Wiener Neos, Christoph Wiederkehr, hat sich naturgemäß über die Entscheidung der Wiener SPÖ gefreut. "Heute ist ein historischer Tag für uns Neos", sagte er bei einem kurzfristig einberufenen Pressetermin am Dienstag. Er sei zuversichtlich, dass die Gespräche zu einem positiven Abschluss kommen würden, schließlich habe man in den Sondierungen bereits gesehen, dass gute Kompromisse möglich seien. Ein Scheitern der Verhandlungen schließt er zugleich aber nicht aus. (Rosa Winkler-Hermaden, red, 27.10.2020)