Die Siebendornige Wollbiene (Anthidium septemspinosum), hier auf einer Wiesen-Flockenblume mit Aussicht auf die Straßenbahn, war bisher in Österreich selten gesehen.

Foto: Sophie Kratschmer

Knapp die Hälfte von Wiens 415 Quadratkilometern wird von Grünflächen eingenommen. Dazu zählen einerseits Schwergewichte wie der Lainzer Tiergarten und die Donauinsel, andererseits aber auch deutlich bescheidenere Areale. Eindeutig zu Letzteren gehören die Begleitflächen entlang der Verkehrsmittel der Wiener Linien. Inwieweit auch diese einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt der Hauptstadt leisten, haben Forscherinnen der Universität für Bodenkultur (Boku) untersucht.

In Kooperation mit den Wiener Linien erhoben Bärbel Pachinger vom Institut für Integrative Naturschutzforschung der Boku und ihr Team auf 25 Begleitflächen entlang der oberirdischen Gleiskörper von vier U-Bahnen und zwei Straßenbahnlinien im Vorjahr und heuer das Vorkommen von vier Artengruppen, nämlich von Gefäßpflanzen, Heuschrecken, Tagfaltern und Wildbienen.

Die Auswahl kam dabei nicht von ungefähr: Alle vier Gruppen reagieren sowohl empfindlich auf standortspezifische Faktoren, wie die Beschaffenheit des Untergrunds, Trockenheit oder die Vegetationshöhe, als auch auf die Art, wie die jeweiligen Flächen gepflegt bzw. wie oft sie gemäht werden. Gleichzeitig handelt es sich um "sympathische" Gruppen, die sich gut darstellen lassen und in Zukunft mithelfen sollen, die Öffi-Gäste für das Thema Artenvielfalt zu sensibilisieren.

Beachtliche Ausbeute

Auf den insgesamt knapp 3,7 Hektar Untersuchungsflächen konnten die Forscherinnen 378 Pflanzenarten, 25 Heuschrecken-, 40 Tagfalter- und 155 Wildbienenarten nachweisen. Zum Vergleich: In ganz Wien gibt es rund 2200 Pflanzen-, 90 Heuschrecken-, 140 Tagfalter- und 460 Wildbienenarten.

Wenn man bedenkt, dass dabei auch so große und naturnahe Lebensräume wie der Wienerwald oder die Lobau inkludiert sind, ist die Ausbeute auf den Öffi-Begleitflächen, die sich in bebautem Gebiet befinden, durchaus beachtlich.

Zur Begeisterung der Wissenschafterinnen fanden sich unter den zahlreichen erhobenen Arten auch einige Besonderheiten, allen voran die Grobpunktierte Schmalbiene (Lasioglossum crassepunctatum). "Die Art wurde in Österreich bisher erst zweimal nachgewiesen, nämlich 1935 und dann wieder 1971", freut sich Pachinger. "Ihre Hauptverbreitung liegt eher im mediterran-asiatischen Gebiet."

Wertvoller Lebensraum

Wildbienen sind zwar eine vom Laien kaum wahrgenommene, aber keineswegs vernachlässigbare Gruppe: Eine Wildbiene kann pro Tag bis zu 5000 Blüten bestäuben; oftmals zeigt sich eine der vielen unterschiedlichen Wildbienenarten auch als effizienter bei der Bestäubung als die Honigbiene.

Die Gelbbindige Furchenbiene ist eine der Klimagewinnerinnen. Sie nistet in selbstgegrabenen Nestern im Boden (siehe Foto) und profitiert daher von den lückigen Ruderalflächen, die viele Wildbienenarten Lebensraum bieten.
Foto: Meyer Philipp

Allgemein lässt sich sagen, dass manche früher seltene Tierarten heute in Wien häufiger zu finden sind, vor allem, wie Pachinger ausführt, wärmeliebende Spezies. Das liegt einerseits daran, dass es in Städten durchschnittlich um zwei bis drei Grad wärmer ist als im Umland, andererseits am Klimawandel.

Eine dieser Arten ist die in Österreich fast nur im Osten vorkommende und stark gefährdete Grüne Strandschrecke (Aiolopus thalassinus), die Pachingers Mitarbeiterin Katharina Huchler auf einer Ruderalfläche – auf Wienerisch Gstätten – der Wiener Linien nachweisen konnte.

"Die Art entwickelt sich seit den 1990er-Jahren in Wien zunehmend zur Charakterart für Stadtbrachen. Solche zwischenzeitlich ungenutzten Flächen in der Stadt gelten inzwischen für eine Vielfalt verschiedener Insekten als wertvoller Lebensraum, auch wenn dieser eher kurzlebiger Natur ist", wie Huchler erklärt.

Wärmeprofiteure

Auch die Siebendornige Wollbiene (Anthidium septemspinosum) profitiert von der Wärme Wiens. War sie bis vor wenigen Jahren in der Hauptstadt noch sehr selten, trifft man sie mittlerweile durchaus häufig an, vor allem im Hochsommer und unter anderem auf Flockenblumen.

Wollbienen haben ihren deutschen Namen übrigens von einer bemerkenswerten Verhaltensweise: Sie schaben mit den Mundwerkzeugen Haare von wolligen Pflanzen, wie Ziest-Arten oder Königskerzen, und kleiden damit ihre Brutzellen aus.

Derzeit erfolgt die Pflege der Grünflächen der Wiener Linien eher nach praktischen als nach Artenvielfaltsgesichtspunkten, doch das soll sich ändern: Aus den nun abgeschlossenen Felderhebungen wird Pachinger einen Maßnahmenkatalog dafür erarbeiten, wie die Wiener Linien die Artenvielfalt auf ihren Flächen erhalten bzw. fördern können.

"Dieses Kooperationsprojekt liegt uns besonders am Herzen", betont die Boku-Forscherin. "Einerseits, weil wir dabei Zugang zu Flächen direkt neben dem Gleiskörper erhalten haben, die für die Öffentlichkeit eigentlich gesperrt sind, und andererseits, weil wir mit den von den Wiener Linien gewünschten Pflegetipps einen kleinen Beitrag zur Förderung der Biodiversität leisten können." (Susanne Strnadl, 4.11.2020)