Das Forschungsschiff "Falkor" hat vor Cape York im Norden des Great Barrier Reef ein bisher unbekanntes freistehendes Riff entdeckte.
Foto: Dean Miller/SOI

Sydney – Die größten von Lebewesen geschaffenen Strukturen der Erde stammen von winzigen, tentakelbewährten Nesseltieren, für die Zeit keine Rolle zu spielen scheint: Pro Jahr wachsen Korallenriffe nur um wenige Zentimeter, für die Errichtung eines kleineren Riffs muss man Jahrtausende einplanen. Manche Atolle, die aus mehreren Tausend Metern Tiefe emporwuchsen, sind schon 30 Millionen Jahre alt. Die größte bekannte zusammenhängende Ansammlung von Korallenriffen liegt vor der Ostküste Australiens und erstreckt sich über eine Meeresfläche von 350.000 Quadratkilometern. Der Grundstein des Great Barrier Reef wurde schon vor 600.000 Jahre gelegt, die heute (noch) lebenden Riffe sind bis zu 20.000 Jahre alt.

Die Entdeckung großer freistehender Korallenriffe ist mittlerweile selten geworden.
Illustr.: Schmidt Ocean Institute/SOI

Seit James Cook und die Besatzung der HMS Endeavour das Great Barrier Reef 1770 als erste Europäer zu Gesicht bekamen (und unter den Kiel: das Schiff lief auf Grund), haben Naturforscher und Ozeanologen je nach Zählweise zwischen 2.500 und über 2.900 Einzelriffe gezählt, die großen, freistehenden unter ihnen wurden schon früh entdeckt und auf Karten verzeichnet – der eine oder andere Riffgigant dürften sich aber noch bis heute erfolgreich versteckt halten, wie ein aktueller Fund vermuten lässt: Meeresforscher haben im Great Barrier Reef zum ersten Mal seit 120 Jahren ein bisher unbekanntes riesiges, freistehendes Korallenriff entdeckt.

Aufnahme von der Flanke des Riffes aus einer Tiefe von fast 80 Metern.
Foto: SOI

Tauchgang beim Giganten

Das Riff sei mehr als 500 Meter hoch – und damit höher als das Empire State Building in New York oder die Petronas Towers in Kuala Lumpur, teilte die Stiftung Schmidt Ocean Institute am Montag mit. Wissenschafter um Robin Beaman von der James Cook University haben das Riff bei ihrer zwölfmonatigen Expedition rund um Australien mit dem Forschungsschiff "Falkor" vor einer Woche entdeckt und bei einem live ins Internet übertragenen Tauchgang mit dem Unterwasserroboter SuBastian am Sonntag erkundet, hieß es.

Das Cape York vorgelagerte Korallenriff im Norden des Great Barrier Reef sei an seiner Basis 1,5 Kilometer breit und liege an seinem obersten Punkt 40 Meter unter der Meeresoberfläche. In der Region seien zuvor seit dem späten 18. Jahrhundert sieben freistehende Korallenriffe entdeckt und vermessen worden, so die Stiftung.

Video: Roboter-Tauchgang zum neu entdeckten Riff.
Schmidt Ocean

Gefährdeter Naturschatz

"Diese unerwartete Entdeckung bestätigt, dass wir in unseren Ozeanen weiterhin unbekannte Strukturen und neue Arten finden", sagte Wendy Schmidt, Mitbegründerin des Schmidt Ocean Institute. "Unser Wissen darüber, was sich im Ozean befindet, ist seit langem so begrenzt. Dank neuer Technologien, die als unsere Augen, Ohren und Hände in den Tiefen des Meeres wirken, haben wir die Fähigkeit zu erkunden wie nie zuvor."

Das Great Barrier Reef erstreckt sich über eine Länge von gut 2.300 Kilometern, flächenmäßig ist es größer als Italien. Es ist vor allem durch den Klimawandel stark gefährdet: Die Vereinten Nationen haben in der Vergangenheit gewarnt, dass 90 Prozent aller Korallen auf der Welt absterben könnten, wenn die globalen Temperaturen um 1,5 Grad steigen. (red, APA, 27.10.2020)