Yangs Porträts betrachten eine Generation, die auf der Suche nach Individualität und Orientierung versucht, ein Gleichgewicht zwischen Traditionen und internationalen Kulturen herzustellen.
Foto: Lou Yang

Auffällig ist, dass hier kaum jemand lacht. Auch andere emotionale Regungen sind – zumindest nicht sofort – erkennbar. Fast alle der Frauen starren direkt in die Kamera. Lässt man sich aber auf ihre vermeintliche Ausdruckslosigkeit ein, eröffnen sich Untiefen an Ausdrücken: Sie wirken ernst, nachdenklich, selbstbewusst, verloren, provokant, lasziv. Manchmal alles auf einmal. Oft sind sie nackt, tätowiert, haben abrasierte Köpfe oder lange Achselhaare.

Xu Rong sitzt nur mit einer Hose bekleidet auf einem Flachdach – eine Brust wird von ihrem dicken Haarzopf verdeckt, die andere von ihrer Handfläche. Ihr Blick ist so durchdringend, dass man fast Angst bekommt. Darunter steht Pipi in Spitzenunterhose und Oberteil mitten auf der Straße, ihr schüchterner Blick scheint ihrer Körpersprache komplett zu widersprechen. Am liebsten würde man sie trösten.

Für ihr Langzeitprojekt Girls porträtiert die 1984 in China geborene Fotografin Luo Yang seit 2007 junge Frauen aus ihrer Generation. Waren es anfangs noch Bekannte und Freundinnen, begann sie dann Modelle über soziale Medien ausfindig zu machen. Es sind Frauen, die zwischen traditionellen Rollenbildern und moderner Industrienation nach Individualität suchen. Abseits gesellschaftlicher Normvorstellungen wollen sie Stereotype aufbrechen: Nein, Frauen müssen nicht süß, zart und feminin sein!

Ausdruckslosigkeit mit Tiefe: Nein, Frauen müssen nicht süß, zart und feminin sein!
Foto: Lou Yang

Nackt, tätowiert und fluid

Nun sind ausgewählte Arbeiten Yangs im Linzer Francisco Carolinum zu sehen. Obwohl sie bereits auch vereinzelt in Europa ausgestellt wurden, ist es das erste Mal, dass ihre Bilder in einer musealen Einzelausstellung in Österreich gezeigt werden. Wie auch im übrigen Programm füllt die ehemalige Linzer Landesgalerie mit ihrem neuen Fokus auf zeitgenössische Fotografie hier eine klaffende Lücke.

Nahtlos an die Girls-Bilder knüpft die Serie Youth an. 2019 begann Yang Jugendliche der Generation Z (also in den späten 1990ern und um 2000 Geborene) zu fotografieren. Ähnlich wie bei den Aufnahmen der jungen Frauen sind es intim-nahe Porträts, die aber spontaner und mehr wie Schnappschüsse wirken.

Princess Butterfly heißt das Foto einer Frau, die mit langen Glitzernägeln und knallpinken Outfits im Supermarkt oder auf der Straße posiert. Da ist sie allerdings eine Ausnahme, denn nur selten inszenieren sich die Porträtierten an öffentlichen Orten. Eher posieren sie auf Dächern, im Bad oder an ihrem Esstisch. Nackte Männer liegen gemeinsam im Bett, sind geschminkt oder tragen Kleider. Tätowierte Körper sind nackt oder stehen rauchend am Fenster. Ihre Geschlechter sind egal. Yang porträtiert eine Jugend, die fluid und kreativ ist. Ihre Selbstinszenierung ist eine politische. Da gibt es wenig zu lachen. (Katharina Rustler, 28.10.2020)