Die Wissenschaft sollte unser Leuchtturm sein in dieser Pandemie. Allerdings interpretieren auch offizielle Experten das Geschehen durchaus unterschiedlich. Auch was den Grad der Bedrohlichkeit betrifft.

Kürzlich erregte die Virologin Univ.-Prof. Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der Med-Uni Wien, die zur sogenannten Ampelkommission gehörte, mit einer Alarm-E-Mail an mehrere andere Experten der Taskforce im Gesundheitsministerium Aufsehen. Darin schrieb sie: "Es scheint, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen geht verloren." Die Analysen "von einzelnen bis aufs Detail von uns untersuchten Sars-Infektionsfällen in Wien zeigen, dass Infektionen bereits in unklarer Weise im öffentlichen Raum (Öffis, Geschäft als einige mögliche Quellen) akquiriert werden".

Die Maskenpflicht wird (wieder) verschärft.
Foto: imago images/M.Zettler

Das steht in einem gewissen Widerspruch zu Äußerungen von Prof. Franz Allerberger, dem Chef der Gesundheitsagentur Ages, der noch im August sagte, man habe "noch keinen Ausbruch in Öffis festgestellt", und der gleichzeitig die rhetorische Frage stellte: "Verbieten wir Partys wegen anderer Gesundheitsrisiken? Nein." Inzwischen fordert die Bundesregierung massiv auf, sich bei Partys etc. zurückzuhalten und überhaupt die sozialen Kontakte einzuschränken. Die Maskenpflicht wird (wieder) verschärft, während Allerberger in einem kürzlich geführten Gespräch mit Claudia Stöckl auf Ö3 meinte, sie habe "keinen belegbaren Effekt".

Pauschalaussagen

Der Ages-Chef scheint zu der Richtung von Wissenschaftern zu neigen, die Corona als gleichzeitig nicht so bedrohliches und eben auszuhaltendes Phänomen betrachten: "Jeder von uns wird es früher oder später kriegen, außer er stirbt vorher."

Und: "Es ist eine viel harmlosere Krankheit, als wir vor zehn Monaten gefürchtet haben, da dachten wir noch, die Sterblichkeit liegt bei 30 Prozent der Infizierten." Allerberger bezog sich auf die neue Studie der Universität Stanford, die eine Corona-Sterblichkeit von 0,23 Prozent ausweist: "Der Wert passt haarscharf zu unseren Daten." Dazu ist zu sagen, dass es sich dabei um eine sogenannte Metastudie zu ein paar Dutzend anderen Studien handelt, die der bekannte Epidemiologe John Ioannidis angestellt hat. Andere Wissenschafter bemängelten, dass sich Ioannidis zum Teil auf schlecht abgesicherte Erhebungen stützt. Vor allem aber weist Ioannidis selbst darauf hin, dass die Sterblichkeitsrate von 0,23 Prozent ein Durchschnittswert ist und je nach Alter, Zustand des Gesundheitssystems und Bevölkerungsdichte "erheblich variieren" kann.

Tatsächlich weist auch Allerberger auf den Anteil älterer Menschen über 65 hin (1,7 Millionen oder 16,7 Prozent in Österreich), den man nicht unterschätzen dürfe. Für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung stellt Corona also ein beträchtliches Risiko dar, was aber bei Pauschalaussagen wie "viel harmlosere Krankheit" unter den Tisch fällt. Gesundheitsminister Rudolf Anschober sagte denn auch, sein Berater Allerberger habe öfter "nicht mehrheitsfähige Meinungen".

Das tritt aber bei manchen Expertenäußerungen eher in den Hintergrund. Für uns Laien bleibt also wohl nur der Ausweg, lieber "auf der Seite der Vorsicht zu irren" und sich entsprechend zu verhalten.

In der "ZiB 2" sagte die Virologin Puchhammer-Stöckl, angesprochen auf die Maskenskepsis von Allerberger, mit dem Unterton leichter Verzweiflung, es gebe "Studien über Studien über Studien", wonach die Masken sehr wohl die Viruslast verringern. (Hans Rauscher, 28.10.2020)