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PRO: Das Virus kennt kein Tabu

von Thomas Mayer

Man mag dem steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer vieles vorwerfen. Für eines steht der bekennende Großkoalitionär und lebenslange Sozialpolitiker bei seinem Vorschlag, man solle einen "verfassungsmäßig gangbaren Weg" zur Kontrolle der Corona-Regeln auch im privaten Bereich suchen, nicht: für eine Politik, die "austrofaschistische Überwachungsfantasien" ausleben will, wie der blaue Klubchef Herbert Kickl meint.

Das ist ein absurder Vorwurf. Er kommt in einer Zeit, in der die zweite Welle der Corona-Pandemie einem halben Dutzend EU-Staaten erneut Lockdown-ähnliche Zustände bescherte; und Regierungen unter demokratisch und rechtsstaatlich einwandfreien Umständen harte Beschränkungen von Grundrechten setzen – im öffentlichen wie im privaten Bereich.

Natürlich ist dabei besondere Vorsicht, legistische Zurückhaltung geboten. Aber es ist auch klar, dass etwa das Recht auf Leben über dem Recht auf Freiheit des Einzelnen steht, notfalls über dem Recht auf Schutz des privaten Wohnbereichs.

Menschen, die im Partykeller oder im Garten Corona-Partys abfeiern, die andere gefährden, sind ein Problem. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der private Raum quasi über dem Gesetz stehe, der Staat dort niemals eingreifen darf, wenn das Gemeinwohl gefährdet ist. Das sollte seriös diskutiert, wenn nötig im Einklang mit der Verfassung geregelt oder im Zweifel verworfen werden. Das Virus kennt kein Tabu. (Thomas Mayer, 27.10.2020)

KONTRA: Ein Eingriff wäre fatal

von Gabriele Scherndl

Schon oft wurde seit Beginn der Coronavirus-Krise George Orwells 1984 aus dem metaphorischen Bücherschrank geholt. Auf dem Weg zum gläsernen Bürger sei man, schrien Kritiker, das Ende der individuellen Freiheit drohe, hieß es. Das ist nicht eingetroffen. Noch nicht.

Die Diskussion rund um Corona-Kontrollen im privaten Raum ist dieser Tage so laut wie nie. Sämtliche politischen Verantwortungsträger negierten stets, dass es solche geben soll, und betonten, dass das verfassungskonform nicht möglich sei.

Nun ruft in der Steiermark der erste Landeshauptmann doch danach, und Verfassungsexperten wiederholen noch einmal laut, was sie im Frühling leise sagten: Es wäre sehr wohl möglich, ein einwandfreies Gesetz zu schreiben, das Corona-Regeln in den eigenen vier Wänden ermöglicht.

Dennoch wäre es fatal. Ein derartiger Eingriff in unsere Intimsphäre wäre tatsächlich der Beginn einer Dystopie – und ein gefundenes Fressen für jene, die schon längst ihre Freiheit bedroht sehen und nicht mehr bereit sind, legitime Maßnahmen mitzutragen.

Allen anderen – denen, die ihr Leben radikal umgestellt haben, die verzichten, worauf man verzichten kann – würde man mit dem ungestörten privaten Raum das letzte Stück Geborgenheit und Sicherheit wegnehmen. Das darf nicht der Output von Gesetzen sein – ganz unabhängig von juristischer Machbarkeit oder den Rufen Einzelner. (Gabriele Scherndl, 27.10.2020)