Innsbruck – Zwar kommt die Baubranche verhältnismäßig glimpflich durch die Krise, einen Auftrag in der Höhe von fast einer Milliarde Euro zu verlieren ist für eine Baufirma aber zu jeder Zeit ein schwerer Schlag. Das Baukonsortium Arge H51 rund um den heimischen Baukonzern Porr hätte den größten Bauabschnitt auf österreichischem Projektgebiet für den Brennerbasistunnel errichten sollen. Es geht um das Baulos von Pfons bis zur Staatsgrenze am Brenner und um 966 Millionen Euro. Die Errichtergesellschaft BBT SE gab am Mittwoch allerdings bekannt, den Vertrag aufzulösen. Insidern zufolge könnte der zuletzt avisierte Fertigstellungstermin 2030 nun wackeln.

Die vergangenen Monate waren von grundlegenden Differenzen geprägt, weshalb sich ein derartiger Schritt bereits abzeichnete. Gestritten wurde um falsch konstruierte Außenringe des Bahntunnelschachts – sogenannte Tübbinge. Porr zufolge wurden die technischen Anforderungen dafür schon bei der Ausschreibung falsch projektiert. Die Sachlage sei einseitig und sehr vereinfacht dargestellt und nur auf das Thema Tübbinge beschränkt worden, hieß es wiederum bei der BBT SE. "Die endgültige Weigerung der vertraglich zugesagten Leistungen in mehreren Punkten und der nun eingetretene Vertrauensverlust haben uns leider dazu gezwungen, die Vertragsbeziehung mit der Arge H51 aufzulösen", begründete der BBT-SE-Vorstand die Vertragsauflösung.

Schicht im Schacht heißt es im Brenner-Basistunnel noch lange nicht. Die Tunnelgesellschaft und das Baukonsortium sind schwer zerstritten. Es drohen ein Rechtsstreit, eine Neuausschreibung und Verspätung.
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Verlierer Steuerzahler

Wie geht es weiter mit dem 960-Millionen-Euro-Auftrag? Der Vorstandsvorsitzende der Porr AG, Karl-Heinz Strauss, geht davon aus, dass die "Vertragsauflösung eindeutig rechtswidrig" sei. "Der Vertrag ist weiterhin aufrecht, selbst bei einer Neuvergabe." Er kündigte rechtliche Schritte gegen die BBT SE an, macht sich um die eigene Firma aber wenig Sorgen. "Wir bekommen unsere Investitionen ersetzt und haben Anspruch auf Gewinnentgang. So etwas kann dem Ruf schaden, buchmäßig ist es kein großes Problem." Den wahren Schaden sehe er bei den Steuerzahlern, da sich das Projekt nun lange verzögern werde.

Baustart für das Los war im Spätherbst 2018, die Bauzeit wurde mit 74 Monaten veranschlagt. 160 Millionen Euro sind bereits in das Teilstück geflossen.

Das Tübbing-Problem

Die Gräben zwischen dem Arge-Konsoritum und der Tunnelgesellschaft sind tief, und beide geben sich gegenseitig die Schuld an dem Fiasko. "Die BBT SE hat in der Ausschreibung Fehler gemacht und versucht das nun auf den Auftragnehmer abzuwälzen", meint Strauss. "Die ausgeschriebenen 40-Zentimeter-Tübbinge sind zu dünn und hätten die Sicherheit des Tunnels gefährdet. Das will sich die BBT SE nicht eingestehen und mit einer rechtswidrigen Vertragsauflösung retten." Die Arge argumentiert weiters, dass auf italienischer Seite Tübbinge mit einer Stärke von 45 Zentimetern, aber mit geringeren Traglasten gebaut werden.

Das Konsortium hätte einen stärkeren Tübbing anbieten sollen, die Kritik sei erst nach erfolgter Auftragsvergabe gekommen, kontert die BBT-Gesellschaft. Mehrfach angebotene Lösungen seien von der Arge nicht angenommen worden, was zu Verzögerungen geführt habe. Strauss stimmt zu, dass man die Kritik bezüglich der Tübbinge erst nach erhaltenem Zuschlag äußerte: "Wir sind davon ausgegangen, dass die BBT weiß, was sie ausschreibt, sie hatte genug Zeit für die Ausschreibung. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das so nicht geht."

Die BBT SE wollte keine Einzelheiten über die verschiedenen Rechtsstandpunkte der Vertragspartner mit Ausnahme des Tübbing-Systems öffentlich machen, um "die Arge vor Reputationsschäden zu schützen und dem angedrohten Gerichtsprozess nicht vorzugreifen".

Das Baukonsortium hat bereits Leistungen im Wert von 160 Millionen Euro erbracht.
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Gefahr doppelter Kosten

Porr-Chef Strauss verweist mit seiner Argumentation auf ein Rechtsgutachten des Universitätsprofessors Andreas Kletecka, das vor doppelten Kosten warnt. "Bei einer rechtswidrigen Auflösung müsste die BBT auf jeden Fall den Vertrag mit der Arge und allenfalls auch einen zweiten Vertrag mit einem neuen Auftragnehmer erfüllen. Die BBT hätte nicht nur den Gewinnentgang, sondern auch alle Kosten für die permanente Leistungsbereitschaft des gesamten Arge-Belegschaft und der Arge-Technik zu bezahlen. Das kann schon in die Nähe der ursprünglichen Auftragssumme kommen."

Sollte es zu einer weiteren Ausschreibung kommen, zieht Strauss es jedenfalls in Betracht, sich ein weiteres Mal zu bewerben. "Was spricht dagegen?"

Lange Geschichte

Der Bahntunnel durch den Brenner hat schon eine lange Geschichte: 1986 wurde mit den Planungen begonnen, 2016 sollten die Tunnelarbeiten in Österreich und Italien ursprünglich fertiggestellt werden, zwischenzeitlich war von 2027 die Rede, nun wackelt 2030. Zudem könnte die deutsche Zulaufstrecke möglicherweise erst zwischen 2040 und 2050 fertiggestellt werden. Die Verzögerungen führten auch zu massiven Kostensteigerungen. Waren ursprünglich Baukosten in Höhe von sechs Milliarden Euro eingeplant, dürften es nun mindestens zehn Milliarden Euro sein. (Andreas Danzer, 28.10.2020)