Der frisch getünchte Narrenturm auf dem Gelände des Alten AKH in der Herbstsonne. Das 1784 eröffnete Gebäude, das von der Bevölkerung bald liebevoll als "Gugelhupf" bezeichnet wurde, gilt als die erste psychiatrische Anstalt Europas.
Foto: Heribert Corn

Es sind zwei der außergewöhnlichsten Sehenswürdigkeiten Wiens. Jede für sich genommen ist weltweit einzigartig, und beide gehen auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurück. Dennoch sind sie erst seit ziemlich genau fünfzig Jahren an einem Ort vereint. Denn streng betrachtet haben sie nichts miteinander zu tun – auch wenn sie das physisch und psychisch Kranke verbindet.

Die Rede ist von der 1796 gegründeten pathologisch-anatomischen Sammlung und vom zwölf Jahre zuvor eröffneten Narrenturm, der seit 1971 diese weltweit größte Sammlung ihrer Art beherbergt. Am kommenden Dienstag werden beide nach längerer Renovierung feierlich wiedereröffnet – auch wenn sie während der Zeit der Erneuerung nie ganz geschlossen waren.

Seit einiger Zeit schon erstrahlt das fünfstöckige Gebäude auf dem Areal des alten allgemeinen Krankenhauses, das seit gut 20 Jahren vor allem geisteswissenschaftliche Institute der Uni Wien beherbergt, in frisch getünchtem Weiß. Im Volksmund hat es wegen seiner spezifischen Form den Kosenamen "Gugelhupf" erhalten – eine Bezeichnung, die ihrerseits in Österreich zum Synonym für psychiatrische Anstalten wurde.

Erste Irrenanstalt Europas

Der von Joseph II. aus eigener Tasche finanzierte Narrenturm war die erste Anstalt Europas, die ausschließlich zur Behandlung Geisteskranker errichtet wurde. Was damals als fortschrittlich galt, erscheint aus heutiger Sicht einigermaßen inhuman: Es kam zu einem Wegsperren der Patienten, die auf die 139 Einzelzellen (28 pro Stockwerk abzüglich des Eingangs) verteilt wurden. Tobende und unreine Insassen hat man angekettet, später kamen auch Bettgurte und Zwangsjacken zum Einsatz.

"Die damaligen Behandlungskonzepte stammten noch aus der antiken Humoralpathologie", erklärt Eduard Winter, seit 2004 Kustos der pathologisch-anatomischen Sammlung und einer der besten Kenner des Narrenturms.

Eduard Winter, Kustos der pathologisch-anatomischen Sammlung im Narrenturm. Trotz neu eingebauter Heizungen bleibt es im Narrenturm in der kalten Jahreszeit eher frisch. Das Fotografierverbot bezieht sich auf die ausgestellten menschlichen Präparate.
Foto: Heribert Corn

Man orientierte sich bei den Therapieversuchen also an der Lehre von den Körpersäften: Mittels Aderlasses, Brechmitteln und ähnlichen Eingriffen wollte man die Säfte wieder ins Gleichgewicht bringen und so Geisteskrankheiten behandeln.

Architektur nach Zahlen

Die enge Beziehung der Humoralpathologie zur Astrologie schlug sich vermutlich auch in der Architektur des Gebäudes nieder. "Dass es pro Etage 28 Zellen gibt, hängt wohl mit dem Mondmonat zusammen, der früher mit 28 Tagen angegeben wurde," erklärt Winter. Im Englischen ist diese Beziehung noch deutlicher. "Wahnsinnige" werden als "Lunatics" bezeichnet, entsprechend wird der Narrenturm auch mit "Lunatics’ Tower" übersetzt.

Dazu gibt es mutmaßlich noch viele andere Zahlen, die im Turm verbaut wurden: So etwa beträgt sein Umfang 66 Klafter, und 66 ist im Arabischen die Zahl Gottes. Bei allen Zahlenspielereien rund um den Narrenturm, die sogar Thema eines ganzen Buchs wurden, war die schiere Zahl der Geisteskranken von Anfang an viel zu groß für eine Unterbringung.

1869 verließen die letzten Patienten den "Gugelhupf", den danach zunächst vor allem Handwerker nützten, die für das AKH tätig waren und die Zellen zu Werkstätten umfunktionierten. 1905 erfuhr der Narrenturm seine nächste Umwidmung: Er wurde zum Wohnheim für Krankenschwestern, ehe ab 1971 die pathologisch-anatomische Sammlung in dem Gebäude Einzug hielt.

Im Zuge der mehrjährigen Renovierung wurde der Narrenturm nicht nur außen und innen revitalisiert: Er wurde auch wieder in seinen baulichen Originalzustand versetzt – oder besser in den des Jahres 1796, als Toiletten eingebaut wurden.

Revolution der Medizin

1796 war auch das Jahr, in dem das Pathologisch-Anatomischen Museum gegründet wurde, das seinerseits einen wichtigen Beitrag zur Blüte der Zweiten Wiener Medizinischen Schule leistete. Schlüsselperson dieser naturwissenschaftlich begründeten Revolution der Medizin war Carl von Rokitansky, der ab 1834 Leiter des Museums mit dessen Präparaten wurde.

"Schweigen sollen die Gespräche, entfliehen das Lachen, hier ist der Ort, an dem der Tod sich freut, dem Leben zu helfen." Motto der Pathologen, ausgegeben von ihrem italienischen Gründervater Giovanni Battista Morgagni (1682–1771)
Der Geschichte der Wiener Pathologie ist ein eigener Raum der neuen Dauerausstellung gewidmet. In der Mitte: Ein marmorner Seziertisch, wie er von Pathologen verwendet wurde mit einer Öffnung im Zentrum zum Abrinnen der Körperflüssigkeiten.
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Rokitansky, der zehn Jahre später als erster Pathologie-Ordinarius in Wien berufen wurde, betonte die Wichtigkeit der Präparate, die Krankheiten und Verletzungen dokumentieren. Denn nur durch deren genaues Studium könne die Medizin neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten entwickeln.

"Heute umfasst diese Sammlung rund 50.000 Objekte und ist damit die größte der Welt", sagt Eduard Winter. Er sorgte gemeinsam mit dem emeritierten Pathologie-Professor Walter Feigl für die wissenschaftliche Konzeption der Neuaufstellung, die sich in erster Linie an angehende Mediziner und Krankenpfleger wendet. Die Schau steht aber natürlich auch allen anderen Interessierten offen.

Vom morbiden Kuriositätenkabinett...

War die alte Schausammlung ein Geheimtipp für alle, die schaurige Sensationen an einem leicht gruseligen Ort suchten, so ist mit der Neugestaltung nüchterne Wissenschaftlichkeit eingezogen. Während die Auswahl der Präparate menschlicher Krankheiten früher vor allem im düsteren Rundgang im Erdgeschoß des Narrenturms präsentiert wurde, was dem Museum den obskuren Charme eines morbiden Kuriositätenkabinetts verlieh, wanderte die neue Dauerausstellung in die ebenfalls geweißten und gut beleuchteten Zellen.

"Wichtig war uns, die einzelnen Objekte nicht zu inszenieren", sagt Karin Wiltschke-Schrotta, die als Leiterin der Anthropologischen Abteilung im Naturhistorischen Museum Wien, zu dem der Narrenturm seit 2012 gehört, auch das umfassende Renovierungsprojekt leitete. Die meisten der Objekte – Feucht- und Trockenpräparate von allen möglichen Krankheiten, aber auch Moulagen (form- und farbgetreue Abbildungen kranker Körperstellen aus Wachs oder Paraffin) – sind nun durch Glasfenster zu betrachten, eingelassen in nüchtern-sterile Aluwände, die an den Längsseiten der ehemaligen Zellen flächendeckend angebracht wurden.

In der Neuaufstellung ist ein Raum den Hautkrankheiten gewidmet, rechts ist eine Moulage zu sehen. Der Anblick von pathologischen Veränderungen der Haut zählt selbst für Kustos Eduard Winter zu den besonders unangenehmen.
Foto: Heribert Corn

... zum Pathologielehrbuch in 3D

Darauf gibt es jede Menge Erklärtext, der die neue Ausstellung zu einer Art Einführungsbuch für Pathologie mit echten Objekten macht. Diesem Lehrbuchcharakter entspricht auch der Aufbau der Schau, deren Bogen sich von der Geschichte des Fachs über die allgemeine Pathologie bis zu speziellen Krankheiten spannt. In diesem Teil sind auch der Tuberkulose oder den viralen Infektionskrankheiten je ein Kapitel bzw. eine Einheit gewidmet. Auch das neue Coronavirus darf dabei nicht fehlen. "Für Covid-19 fehlt uns aber noch ein passendes Präparat", sagt Eduard Winter.

Ein gewisses Manko dieses positivistischen Zugangs der Neuaufstellung besteht darin, dass sie das öffentliche Herzeigen menschlicher Präparate aus einer sehr viel größeren "sensiblen Sammlung", die nur nach Voranmeldung in den oberen Stockwerken zu besichtigen ist, selbst nicht wirklich zum Gegenstand macht. Es gibt zwar die knappe Mitteilung, dass die Schau alle einschlägigen internationalen Richtlinien berücksichtigt und die Provenienz sämtlicher Präparate erschlossen ist. Zudem gibt es ein Fotografierverbot.

Aber in einigen Fällen hätte man doch gerne etwas mehr darüber gewusst, unter welchen Umständen bestimmte Präparate in die Sammlung gelangten – einmal ganz abgesehen von der Frage, ob auch alle Präparatespender ihre Einwilligung dazu gegeben hätten, dass ihre sterblichen Überreste post mortem einmal in einer Ausstellung gezeigt werden. (Klaus Taschwer, 30.10.2020)