Rot-Pink statt Rot-Grün in der Wiener Stadtregierung hat fürs Erste ein positives Echo gefunden. Ein Grund dafür ist, dass nun statt der Umwelt ein anderes Thema an die erste Stelle gerückt zu sein scheint: die Bildung. Und dahinter verborgen, selten explizit genannt, aber allen bewusst, die Tatsache, dass hunderttausende Migrantenkinder keine adäquate Förderung erhalten und so mit einem gewaltigen Bildungsdefizit ins Berufsleben starten.

Wenn hier, wie die Neos verkünden, ein "großer Wurf" ansteht – nur zu.

Die Grünen, nun wohl in Opposition, können aber trotzdem mit ihrer Leistung zufrieden sein. Sie haben nicht nur mit den Projekten Mariahilfer Straße und Rotenturmstraße Erfolge erzielt, sondern in den letzten Jahren auch eine beachtliche Erziehungsarbeit geleistet, am Koalitionspartner SPÖ ebenso wie an der Wiener Bevölkerung.

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Neos-Chef Christoph Wiederkehr.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Als die Umgestaltung der Mariahilfer Straße in eine Begegnungszone begann, gab es dagegen massiven Widerstand. Heute sind praktisch alle dafür. Bäume statt Autos, Wiese statt Beton, kühlende Brunnen und begrünte Fassaden sind kein Minderheitenprogramm mehr, sondern Mainstream. Und zahllose Wiener fahren heute ganz selbstverständlich mit dem Fahrrad statt mit dem Auto in die Arbeit. Das wird sich wohl auch in Zukunft nicht ändern. Danke, Grüne.

Aber jetzt ist tatsächlich, wie Bürgermeister Michael Ludwig sagte, Zeit für etwas Neues. Während des Wahlkampfs haben alle Parteien außer FPÖ und ÖVP das Thema Integration und Zuwanderer gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Nur ja nicht die nun heimatlosen FPÖ-Wähler verschrecken! Auch jetzt sagt man lieber "sozialer Zusammenhalt" und "respektvolles Miteinander". Aber gemeint ist schon das Richtige: Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind, dass fast die Hälfte der Wiener einen Migrationshintergrund hat und dass wir daraus das Beste machen müssen und auch können. Nicht durch undifferenziertes Islam-Bashing und Reden über "unsere Werte" à la FPÖ und ÖVP, sondern durch positives Handeln.

Geld für Kindergärten und Brennpunktschulen

Was könnte der Impuls sein, den die Neos mit ihrer Parole "Bildung, Bildung, Bildung" in die neue Koalition einbringen können? Mehr Geld für Kindergärten und Brennpunktschulen, die manche verächtlich "Restschulen" nennen. Restschulen, erklärte jüngst eine Lehrerin, sind die Schulen mit den Schülern und Lehrern, die niemand haben will. Mehr Ganztagsschulen mit entsprechender Infrastruktur, Sozialarbeitern und einladenden Räumlichkeiten. Eine Lehrerausbildung, die – wie von der Autorin Melisa Erkurt gefordert – Kompetenzen im Umgang mit einer gemischt zusammengesetzten Schülerpopulation vermittelt. Mehr qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund in die Lehrerschaft, in die Polizei, in weithin sichtbare Stellen in der Verwaltung.

Vom Bund ist da wenig zu erwarten. Um so mehr Grund für Wien, ein Gegenmodell anzubieten. Ein "sozialliberales Wien" als Nachfolgeprojekt des legendären Roten Wien der Zwischenkriegszeit.

Bisher haben die Neos nur Versprechen machen können. Jetzt haben sie die Chance, zumindest einige davon einzulösen. Wir warten auf den "großen Wurf". (Barbara Coudenhove-Kalergi, 28.10.2020)