Seit 1946 erscheinend ist der Comic Lucky Luke, erfunden vom belgischen Zeichner Morris, eine ebensolche Mogelpackung wie Winnetou. Dafür sind die Geschichten vom Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten, umso reicher an Westerndekor. Dass der gutherzige Held alle Kopfgelder, die er einsackt, spendet, lässt ihn seit 98 Abenteuern in 300 Millionen verkauften Heften immer mit dem gleichen Lied in den Sonnenuntergang reiten: "I’m a poor lonesome cowboy and a long way from home".

Im neuen 99. Band hat ihn dieser Weg hinunter ins tiefste Louisiana geführt. Denn Lucky Luke hat von einer Bewunderin ihre Baumwollplantage überschrieben bekommen. Wir befinden uns ein paar Jahre nach dem Bürgerkrieg und der Abschaffung der Sklaverei, das ist aber noch nicht zu allen Schnurrbartträgern der sumpfigen Gegend durchgedrungen. So ist Lucky empört, als er ihre abschätzigen Reden über schwarze Arbeiter hört, und stößt mit dem Plan, das Erbe unter jenen aufzuteilen, seinerseits auf Augenrollen bei den Südstaatlern. Es hagelt am Ende sogar brennende Kreuze des Ku-Klux-Klans, weil Lucky die "natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf stellen" will.

Schwarzer Marshall als Co-Held

Fackeln im Baumwollfeld ist die dritte Arbeit des Duos Jul (Text) und Achdé (Bilder). Sie wollten einen bisher in der Serie unterbelichteten Flecken der USA beackern. Mit den Südstaaten lag Rassismus als Thema auf der Hand. Dabei deckt der Band auch auf, dass der Wilde Westen nicht so weiß war wie meist angenommen: Ein Viertel der Cowboys und Sheriffs waren Schwarze, klärt das Nachwort auf. Einer davon ist Bass Reeves. 1838 als Sklave geboren, wurde er der erste Marshall westlich des Mississippi. 3.000 verhaftete Bösewichte machten ihn zur Legende, die in einer auf Weiße fokussierten Geschichtsschreibung aber untergegangen ist. Jetzt ist er Co-Held neben Lucky.

Das kommt in einer Zeit von Black Lives Matter gerade recht. Dass das Erscheinen des Bandes zu einem Höhepunkt der Protestbewegung erscheint, nennen die Autoren nach vier Jahren Arbeit allerdings Zufall. Doch hat auch der Comic-Klassiker Asterix aus demselben Verlag Egmont unlängst den Diversitätsmotor angeworfen: mit dem 2019 erschienenen Heft über das bockige Mädchen Adrenaline, das rasch mit Greta Thunberg verglichen wurde, und einer Dorfjugend, die sich mit dem antiökologischen Wildschwein-System der Alten nicht mehr abfinden will.

Natürlich ist die Sache mit dem Rassismus alles andere als geklärt, als Lucky Luke nach standardmäßigen 44 Seiten auf Jolly Jumper wieder abzieht. Fackeln im Baumwollfeld ist ein Basiskurs in Südstaatenrassismus. Wer aktuelle diskursive Graphic Novels kennt, wird davon nicht zu beeindruckt sein. Aber es kann nie genug Gute auf der Welt geben. (Michael Wurmitzer, 29.10.2020)