Bild nicht mehr verfügbar.

"Bisher hatten Impfgegner keinen Grund, sich nicht impfen zu lassen", sagt Thomas Lohninger von Epicenter Works. Das könne sich nun ändern.

Foto: AP

Seit der ersten Ankündigung im September läuft der kostenlose Impfservice der Stadt Wien auf Hochtouren. Durch die Gratisverabreichung und eine unkomplizierte Terminvereinbarung erhofft sich die Stadt, die Impfrate im Idealfall zu steigern und so das Gesundheitssystem zu entlasten.

Parallel dazu führt die Stadt Wien erstmals den elektronischen Impfpass im Pilotbetrieb ein: Dadurch sollen die Gesundheitsdaten jener Bürger, die sich impfen lassen, elektronisch dokumentiert werden. Auf Nachfrage des STANDARD begründet Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) das Vorgehen damit, dass auf diese Weise eine Impfdokumentation in Österreich geschaffen werden könne, was wiederum vor allem für epidemiologische Fragestellungen tragend sei. Beispielsweise ließe sich anhand eines zentralen Impfregisters der Immunisierungsstatus der Bevölkerung nachvollziehen und so verlässliche Aussagen über die Durchimpfungsrate treffen. Dazu kämen praktische Vorteile, etwa würden verlorengegangene Impfpässe auf diese Weise der Vergangenheit angehören.

Kein Opt-out

Das System erinnert an die elektronische Gesundheitsakte (Elga), die Ärzten erlauben soll, Informationen über Patienten unmittelbar aufzurufen und so effizienter arbeiten zu können. Rechtlich fußt die Verarbeitung auf einer aktuellen Novelle des Gesundheitstelematikgesetzes, die Ende September im Nationalrat beschlossen wurde. Anders als bei Elga gibt es allerdings keine Möglichkeit eines Opt-outs – wer sich also impfen lässt, wird in jedem Fall im Impfregister aufgenommen, wie Hacker dem STANDARD auch bestätigt.

Das allerdings erst nach der Wien-Wahl. Bei der Beantwortung einer Anfrage am 1. Oktober hieß es noch, es gebe eine Opt-out-Lösung – auf weitere Nachfrage wurde dies am 23. Oktober wieder dementiert, mit der Begründung, es habe sich wohl um einen Tippfehler gehandelt ("eine" Ausstiegsmöglichkeit statt "keine"). Unterschieden, um welche Art der Impfung es sich handelt, wird also nicht – lässt sich also jemand beispielsweise gegen FSME impfen, landet er genauso in der Datenbank wie beispielsweise eine (künftige) Corona-Impfung, obwohl erstere wenig Relevanz für den Gesundheitszustand Dritter hat. Auf Nachfrage des STANDARD, was die Begründung für dieses Vorgehen ist, verweist die SPÖ auf das neu beschlossene Gesetz, das keinen Ausstieg vorsieht. Damit soll die Impfung gegen besonders ansteckende Krankheiten verfolgt werden können.

Missbrauchspotenzial

Die Grundrechts-NGO Epicenter Works kritisiert: "Bisher hatten Impfgegner keinen Grund, sich nicht impfen zu lassen", sagt Geschäftsführer Thomas Lohninger. Das könne sich nun ändern. "Sollte die Sorge um die eigenen Gesundheitsdaten künftig Menschen von einer Impfung abhalten, kann das kaum im öffentlichen Interesse sein." Ein zentrales Register würde Begehrlichkeiten wecken und Missbrauchspotenzial schaffen.

"Gerade angesichts der hohen Opt-out-Rate von Elga und der kritischen Haltung der Bevölkerung zu staatlicher Datensammlung sollte die Politik nach der Pilotphase einlenken und das Register optional gestalten." Eine Verpflichtung wäre verständlich, wenn der Zweck des Systems lediglich die Bekämpfung der Corona-Pandemie wäre und die Daten gelöscht würden, sobald sie keine Relevanz mehr haben – dem ist aber nicht so.

"Permanentes System"

"Eine Impfung mit mehreren Dosen könnte ein solches Register logistisch notwendig und den Einsatz auch für kritische Menschen nachvollziehbar machen", sagt Lohninger. "Der elektronische Impfpass ist aber als permanentes System ausgelegt, das sich auf alle Impfungen erstreckt und nicht nur auf jene gegen gefährliche ansteckende Krankheiten." Daher sei er gut mit Elga vergleichbar – wo es aber wohl eine Möglichkeit zum Ausstieg gibt.

Auch die verspätete Antwort von Hacker kritisiert Lohninger: "Anscheinend hat der sozialdemokratische Stadtrat Hacker vor der Wahl nur so getan, als gäbe es eine Opt-out-Möglichkeit, und erst nach der Wahl die Wahrheit eingestanden", sagt der Aktivist. "Gerade beim heiklen Thema Gesundheit sollte die Politik nicht noch weitere Verwirrung stiften, sondern zu ihren Entscheidungen stehen." (Muzayen Al-Youssef, 30.10.2020)