Bei den Mindeslöhnen hat die EU nicht viel mitzureden, daher gibt es nur zarte Ansätze für eine Regelung.

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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will ein zu ihrem Amtsantritt gegebenes Versprechen einlösen. Die Deutsche hatte angekündigt, dass alle Arbeitnehmer in der Europäischen Union Mindestlöhne erhalten sollen, mit denen sie an ihrem Wohnort angemessen leben können. Nach Angaben der Kommission gilt jede sechste Arbeitskraft in der EU als Geringverdiener, die Mehrheit davon Frauen.

Die Lohnungleichheit ist den Angaben zufolge ebenso gewachsen wie die Zahl der Menschen, die trotz Arbeit arm sind. Das soll sich ändern. Die EU-Kommission fordert nun erstmals konkrete Vorgaben für Mindestlöhne, die in mehreren Ländern zur Anhebung der Lohnuntergrenze führen könnten.

Zwei Messgrößen für Untergrenze

Ziel ist, dass Geringverdiener überall in der EU mindestens 50 Prozent des Durchschnittslohns oder 60 Prozent des sogenannten Medianlohns im eigenen Land bekommen, wie die Kommission am Mittwoch erklärte. Der Median wird auch mittlerer Lohn genannt und ist eine Rechengröße: 50 Prozent der Arbeitnehmer verdienen mehr, 50 Prozent weniger.

In Österreich hätte die Umsetzung des Vorschlags kaum Folgen. Gemessen am Kriterium des Durchschnittslohn würde die Untergrenze der Bezahlung bei rund 1200 Euro brutto liegen. Auf Basis des Medianeinkommens läge der Mindestlohn nur unwesentlich höher.

Lohnfindung auf dem Prüfstand

Die EU-Kommission hat noch mehr Kriterien in ihre Erwägungen einbezogen, mit denen angemessene Mindestlöhne umrissen werden: die Kaufkraft, Größenordnung und Verteilung der Bruttolöhne, der Anstieg der Bruttolöhne sowie die Produktivität spielen dabei eine Rolle. Die 21 EU-Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen, darunter Deutschland, müssten demnach die Art überprüfen, wie Mindestlöhne festgesetzt werden.

In Österreich sind Mindestlöhne bzw. Mindestgehälter in den Kollektivverträgen geregelt, von denen fast alle Arbeitnehmer erfasst sind. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es hingegen nicht, dafür aber eine Vereinbarung für eine Untergrenze von 1500 Euro. Wird berücksichtigt, dass in Österreich in der Regel 14 Gehälter bezahlt werden, liegt die Untergrenze deutlich höher.

Klar war in Brüssel recht rasch, dass man EU-weit kein absolute Untergrenze festlegen kann. Denn zwischen beispielsweise Schweden und Bulgarien ist nicht nur das Lohnniveau extrem unterschiedlich, sondern auch das Preisniveau. Für einen Euro kann man sich in Sofia weit mehr kaufen als in Stockholm.

Verträge begrenzen Spielraum

Die Kommission betont, dass es nicht etwa um einheitliche Mindestlöhne in allen EU-Staaten gehe und dass vorhandene Systeme, Traditionen und nationale Besonderheiten berücksichtigt werden. Denn die EU-Verträge setzen Brüssel enge Grenzen: Die EU darf keine Lohnhöhen vorgeben. Da die Kommission in etlichen der 27 Länder auf Skepsis traf, nahm sie sich für die Vorbereitung des Richtlinien-Entwurfs sehr viel Zeit. Über den Vorschlag müssen nun die EU-Staaten und das Europaparlament beraten. Es könnte Jahre dauern, bis er in Kraft tritt.

Von der Leyen überbrachte ihren Vorschlag via Videowall.
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Für Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, geht der Kommissionsvorschlag nicht weit genug. In Mitgliedstaaten, in denen hohe Lohnungleichheit vorliegt, reiche der vorgeschlagene Mindestlohn nicht einmal zur Existenzsicherung. Vana forderte ein "umfassendes Maßnahmenpaket auf europäischer Ebene, um gegen Armut und Ausgrenzung vorzugehen", die Kommission müsse rasch einen Rahmen für ein europäisches Mindesteinkommen vorlegen.

Nachbesserung gefordert

Ähnlich die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner: Der Vorschlag gehe zwar in die richtige Richtung, "aber es gehört noch ordentlich nachgebessert". Ohne verbindliche Angabe würden keine höheren Löhne geschaffen. Ziel müsse eine faire Entlohnung für alle Beschäftigten in Europa sein. Dabei sei es auch wichtig, dass Länder wie Österreich, die durch Kollektivverträge die Beschäftigten gut absichern, "auch weiterhin auf dieses Modell setzen können", forderte Regner. Der Kollektivvertrag habe Vorrang. (red, APA, 28.10.2020)