Birgit Hebein ist geknickt. Das sieht man der amtierenden Vizebürgermeisterin deutlich an. Die Grünen sollen nicht mehr Teil der nächsten Wiener Stadtregierung sein. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hat den Schlussstrich unter die gemeinsame Arbeit gezogen und wird es nun mit den Neos versuchen.

Es ist für die Grünen eine abrupte Vollbremsung auf ihrem aktuellen Erfolgszug. Das Jahr 2019 war das Jahr der Ökopartei. Die Fridays-for-Future-Proteste machten Klimakrise und Umweltschutz zu den bestimmenden Themen der Politik. Mit dem Rückenwind des Hitzesommers und der Reue der Grün-Wähler, die nach dem Rauswurf ihrer Partei aus dem Nationalrat zu den Ökos zurückgekehrt waren, feierte Hebein mit ihren Parteifreunden im Bund erst den Wiedereinzug ins Parlament, dann die Regierungsbeteiligung mit der ÖVP.

Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) will die Hoffnung nicht aufgeben.
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Und es lief weiter gut. Anfang 2020 wurde der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober zur zentralen Figur in der Bekämpfung der Coronavirus-Krise und erhielt dafür wachsenden Zuspruch aus der Bevölkerung. Das Ergebnis der Grünen bei der Wien-Wahl komplettierte den Höhenflug. 14,8 Prozent, ein Plus von rund drei Prozentpunkten: Noch nie zuvor konnten die Ökos so viele Wiener bei einer Gemeinderatswahl überzeugen. Hinzu kam die Verdoppelung der grünen Stadtratsposten, die als Kirsche obendrauf auch Peter Kraus, einem einstigen Konkurrenten im internen Rennen um die Parteiführung, einen Job in der Stadtregierung verschafft hätte.

Doch die Freude nach der Wahl ist mittlerweile dem Frust über die bevorstehende Rückkehr auf die Oppositionsbank gewichen. Hebein will die Hoffnung nicht aufgeben, dass die rot-pinken Koalitionsverhandlungen doch noch scheitern könnten. Ihre Türen stehen offen – für Ludwig und für die SPÖ, sagt sie. Und: Wo ein Wille, da auch ein Weg. Das klingt, als wäre Hebein zu jedem Zugeständnis bereit, um nur in der Regierung zu bleiben.

Grüne Vorreiter

Seit mittlerweile zehn Jahren stellen die Grünen in der Hauptstadt die Vizebürgermeisterin. Die Wiener Ökos sind nicht nur die stärkste Landesorganisation und eine große Personalreserve, sondern auch Vorreiter. Sie haben gezeigt, dass die Grüne Alternative nicht nur kritisieren, sondern auch regieren kann. Mit dem Koalitions-Aus in Wien entsteht nun allerdings ein deutliches Vakuum im grünen Lager.

Das werden die Partei und ihr Chef Werner Kogler auch im Bund zu spüren bekommen. Denn die rot-grüne Stadtregierung hielt inhaltlich und ideologisch das Gleichgewicht zu dem neuen, türkis-grünen Experiment in der Bundesregierung. Das rot-grüne Wien, das sich für Geflüchtete einsetzt, Sozialleistungen nicht kürzen will und die Umwelt schützt, war auch das linke Feigenblatt, das gleichsam die eigene Basis sowie die Funktionäre besänftigte. Die Gleichung war einfach: Die Fundis regieren in Wien, die Realos im Bund.

Nun aber droht das Wiener Gegengewicht wegzufallen. Wenn Koglers Team weiterhin Kanzler Sebastian Kurz klein beigibt, wenn sich die Türkisen weigern, Flüchtlingskinder aus griechischen Lagern in Moria nach Österreich zu holen, oder den Klimaschutz unter den Tisch fallen lassen, könnte das wieder schneller zum Aufschrei der Basis führen.

Und so kann auch Kogler nur hoffen, dass Ludwigs Verhandlungen mit Neos-Chef Christoph Wiederkehr scheitern. (Oona Kroisleitner, 28.10.2020)