Fix ist: Nicht immer wird es bei den Verhandlungsrunden zwischen Neos-Chef Christoph Wiederkehr und dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig so lustig zugehen.

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Wien – Es sind Schriften aus längst vergangenen Tagen. Dabei sind sie erst wenige Jahre alt. 2015, knapp vor der Wien-Wahl, legten die Wiener Neos eine Broschüre mit dem Titel 50 Shades of Red vor. Darin werden aus Sicht der Pinken 50 Beispiele "für strukturelle Korruption, politischen Pfusch, Freunderlwirtschaft und Intransparenz" im roten Wien angeführt. Kritisiert wird die höchste Parteienförderung weltweit, das hohe Budget für Inserate oder die Zahl der Gemeinde- (100) und Bezirksräte (1.144). Die Pinken fordern jeweils eine Reduktion um die Hälfte.

2016 wurde von der Oppositionspartei eine adaptierte Version herausgegeben, die Wastebook genannt wurde. 2018 folgte Wastebook II, das sich mit dem "Immo-Sumpf in Wien" beschäftigte. Unter anderem werden der Verkauf des Semmelweis-Areals und weitere Grundstücksverkäufe der Stadt "zum Schleuderpreis" und ohne jegliche Kontrolle kritisiert.

Harmonie trotz pinker Schriften

Kleiner Zeitsprung: Am Dienstag nahmen die Neos und die Wiener SPÖ erstmals Koalitionsverhandlungen auf – trotz der pinken Schriften in durchaus harmonisch geprägter Atmosphäre. Neos-Chef Christoph Wiederkehr ist zuversichtlich, dass sich beide Parteien trotz diverser Unterschiede auf einen Pakt einigen werden: Man habe in der Sondierung "schon gesehen, dass wir in vielen Bereichen auch gute Kompromisse, die für diese Stadt gut sind, schließen können".

Mit den Neos will sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) eine Partei ins Koalitionsboot holen, die bisher nur für kantige Oppositionspolitik bekannt war. Diese Kante wird Neos-Chef Christoph Wiederkehr künftig nicht mehr in diesem Ausmaß zeigen können: Immerhin konnte die SPÖ ein sechsmal besseres Wahlergebnis, als die Pinken einfahren. Und dieses Machtverhältnis, darauf verwies Stadtchef Ludwig selbstbewusst, müsse sich auch in den Projekten der Stadtregierung widerspiegeln.

Neos für Sonntagsöffnung

Eine Halbierung des 100-köpfigen Wiener Gemeinderats oder der Parteienförderung wird es unter Ludwig jedenfalls ziemlich sicher nicht spielen. Knatsch könnte es auch bei der Frage der Sonntagsöffnung geben, die die Neos in ihrem Parteiprogramm festgeschrieben haben. Ludwig sprach sich bisher immer vehement dagegen aus – und verwies auf eine fehlende Einigung mit der roten Gewerkschaft.

Am Mittwoch nahmen die rot-pinken Verhandler ihre Arbeit zu inhaltlichen Punkten auf. Neben den Kernteams zur Koordinierung – zu denen natürlich Ludwig und Wiederkehr gehören (siehe Wissen) – werden auch acht Untergruppen zu verschiedenen inhaltlichen Themen wie Arbeit, Bildung oder Transparenz gebildet.

Bei der SPÖ werden diese acht Verhandlerteams von den für den jeweiligen Themenkomplex zuständigen Stadträtinnen und Stadträten sowie von Landesparteisekretärin Barbara Novak geleitet. Dazu kommt ein weiterer roter Politiker. Ergänzt werden die insgesamt vierköpfigen Teams von zwei Mitarbeitern oder Experten im jeweiligen Fachgebiet. Damit steht fest, dass eine rot-pinke Verhandlerrunde aus acht Personen besteht. Welche Verhandler die Neos ins Rennen schicken und wer abseits der Koordinierungsgruppe um Wiederkehr (siehe Wissen) die acht pinken Teams jeweils leitet, stand bis Mittwochabend vorerst noch nicht fest.

Wiederkehr will Bildung

Erst in den Verhandlungen dürfte sich herauskristallisieren, in welchem Ressort die Neos Regierungsverantwortung durch eine Stadträtin oder einen Stadtrat stellen können. Wiederkehr machte im Wahlkampf aber keinen Hehl daraus, dass er persönlich den Bildungsstadtrat anstrebe. Allerdings hat Ludwig die Arbeit des aktuell amtsführenden Parteifreundes Jürgen Czernohorszky zuletzt mehrmals lobend erwähnt. Zudem ist dieser erst seit Jänner 2017 in dieser Funktion.

Möglich ist also auch, dass mittels neuer Ressortverteilungen inhaltlich ordentlich umgeschichtet wird. Offen bleibt, ob die Neos auf dem Bildungsressort beharren – oder umschwenken. Andererseits haben die Neos schon 2018 in einem Sieben-Punkte-Plan für Wien die Einrichtung eines "Stadtrates für Korruptionsbekämpfung, Transparenz und Bürgerbeteiligung" gefordert. Diesen Vorstoß könnten sie in die Verhandlungen mitnehmen.

Für Ludwig bietet sich die Gelegenheit, die rote Bastion Wien mit einem pinken 7,5-Prozent-Juniorpartner mehr als bisher als Gegenpol zur türkis-grünen Bundesregierung zu positionieren. Der politische Hauptgegner in gesellschaftlichen und sozialen Fragen bleibt die ÖVP. Die Grünen in Wien kommen hingegen ohne Regierungsbeteiligung ins Dilemma, dass sie mehr als bisher die Tätigkeit des Bundes mittragen müssten – was den Wiener Ökos teils sichtlich schwerfällt. Nicht umsonst hofft Nochvizebürgermeisterin Birgit Hebein auf ein Scheitern der rot-pinken Gespräche. (David Krutzler 28.10.2020)