Der Spaß an der Angst ist weit älter als das Medium Videospiele, und lange Zeit brauchte es sogar ziemlich viel guten Willen, um von Horrorgames zumindest ein bisschen Gänsehaut zu bekommen.

Urgesteine wie Haunted House (1982, Atari VCS) oder Sweet Home (1989, Famicom) sorgen als frühe Horrorspiele mit ihrer rudimentären Grafik für recht abstraktes Gruseln. Das Horror-Textadventure Lurking Horror aus dem Jahr 1987 schafft ganz ohne Bilder dafür auch heute noch angenehmes Unbehagen vor dem Monitor.

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Erst mit dem technischen Fortschritt mausern sich Videospiele zur Horrorbühne: Der Survival-Horror-Urgroßvater Alone in the Dark zeigt schon 1992, wie sich frühe 3D-Grafik effektvoll mit Third-Person-Gameplay verbinden lässt. Die frühen Neunziger sind jene Zeit, in der die dritte Dimension für völlig neue Spielideen und -genres sorgt: Auch Doom, 1993 erschienen, spielt mit Horrormotiven, doch sein Fokus liegt eher auf schneller Action als Gruseln. Im Gegensatz dazu sorgt System Shock 1994 für Science-Fiction-Horrormomente; besonders der 1999 erschienene Nachfolger gilt noch heute als Meilenstein.

Der Schrecken des Überlebens

Auch wenn das ums Überleben kämpfende Adventure-Genre 1993 mit The 7th Guest und 1995 mit Phantasmagoria ebenfalls mit Horror punkten will, stellt ein Kultklassiker schon 1996 neue Regeln für das Spiel mit dem Schrecken auf: Das 1996 erschienene Resident Evil ist bis heute vielen Spieler*innen als Meilenstein in Erinnerung geblieben und etabliert mit seinen Nachfolgern ein Genre, das seine Macher selbst als "Survival Horror" bezeichnen. Karge Ressourcen und ein fragiler Spielercharakter zeichnen die Nische aus; dass die großen Titel in den letzten Jahren als Remakes grafisch aufgehübscht neu erschienen sind, beweist ihren bleibenden Einfluss.

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Besonders Silent Hill kann sich 1999 als Konkurrenz zur Resident Evil-Reihe etablieren; vor allem der 2001 erschienene zweite Teil genießt bis heute Kultstatus. Spiele wie Parasite Eve, Fear Effect und Dino Crisis, aber auch in manchen Spielkonzepten weitaus originellere Titel wie Project Zero (US: Fatal Frame, 2001) machen das Jahrzehnt von 1996 bis etwa 2005 zur Goldenen Ära des Survival-Horrorspiels und somit zur ersten großen Ära der Horrorvideospiele an sich.

Mit Eternal Darkness: Sanity’s Requiem reißt 2002 ein wahres Unikat für den Nintendo Game Cube die vierte Wand effektvoll nieder, doch der Horror, inzwischen längst im Mainstream des Mediums angelangt, schlägt eine andere Richtung ein: Mit dem Vorreiter Resident Evil 4 ging das Spiel mit der Angst in Richtung mehr Action. Und das nicht nur mehr auf Konsolen.

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Horror-Action als Mainstream-Blockbuster

First-Person-Shooter hatten sich Mitte der 2005er-Jahre gemeinsam mit dem Spielgerät PC als riesiger Markt abseits der Konsolenwelt etabliert, mit dem Horror-Shooter F.E.A.R. gelingt seinem Entwickler Monolith 2005 ein höchst erfolgreicher Hybrid aus Shooter und Horrorspiel. Auch das eher obskur bleibende Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth sowie Condemned: Criminal Origins beweisen im selben Jahr, dass First-Person-Perspektive und Horror gut zusammenpassen.

Vom adrenalintreibenden und behäbigen Grusel des klassischen Survival-Horrors ist in diesen Jahren wenig übriggeblieben. Dead Rising (2006), The Darkness (2007) und Left 4 Dead (2008) sind ebenso wie das auch 2008 erschienene Dead Space höchst erfolgreiche Horror-Actionspiele; schon das bereits 2006 erschienene Gears of War, aber auch Bioshock (2007) belegen mit ihrer Mischung aus Action und Horrorthemen, dass das Spiel mit der Angst höchst massentauglich ist.

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Wehrlosigkeit als Gruselgarant

Gänsehaut und Action, das geht nur eine Zeitlang gut. Vor allem die Nachfolger der Horror-Blockbuster sorgen nach und nach mit eintönig werdenden Splatter-Orgien für Abstumpfung bei großen Teilen der Spielerschaft. Während die großen Reihen in den Augen vieler Horrorfreunde zu sehr auf Action und Jumpscares setzen und Horrorthemen als Zombie-Maps in Multiplayershootern Einzug halten, zeigen Entwickler aus der jungen Indie-Szene einen anderen Weg: Mit Amnesia: The Dark Descent erscheint 2010 eines der einflussreichsten Horrorspiele jener Zeit. Wie die früheren, bei weitem nicht so erfolgreichen Titel des schwedischen Entwicklers Frictional Games setzt Amnesia auf die Wehrlosigkeit seines Protagonisten – ein Horror-Rezept, das schon bald Nachahmer findet.

Von Indie-Überraschungshits wie dem Freeware-Titel Slender: The Eight Pages (2012) über Outlast (2013) bis hin zum AAA-SF-Horror von Alien: Isolation (2014) findet das von Amnesia etablierte Spielprinzip Nachahmer, durchaus unterstützt vom aufkommenden Megatrend zum Streaming: Vom Let’s Play-Superstar PewDiePie abwärts erfreut sich der neue Horror samt effektvoll kreischenden Streamern großer Beliebtheit.

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Um ein Haar hätte sich ein wahres Horror-Schwergewicht auch ganz diesem Trend verschrieben: Dass die schlummernde Silent Hill-Franchise nicht im Geist dieser Zeit wiederauferstehen durfte, ist durchaus bedauernswert.

Der 2014 unter der Zusammenarbeit von Hideo Kojima und Guillermo del Toro entstandene "Playable Teaser", kurz "P.T." für das geplante Serien-Reboot, ist wegen der Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Konami nicht nur Rudiment geblieben, sondern sogar aus dem Netz verschwunden – ein Jammer, denn wer das Fragment gespielt hat, weiß, dass es eines der wohl effektvollsten Stücke Horror aller Zeiten war. Epigonen wie Layers of Fear oder Visage zehren bis heute davon.

Hochglanz-Horror und Indie-Scares

Horror hat sich trotz mehr oder weniger starker Splatter- und Gore-Elemente vom ursprünglich nischigen Untergrund zum Mainstream entwickelt. Das zeigt sich nicht nur bei Videospielen, sondern auch in anderen Medien: Dass eine TV-Serie wie The Walking Dead mit ihren extrem expliziten Horrorelementen Zuseherrekorde bricht, ist durchaus ein Zeichen der Zeit.

So sind auch Horrorgames wie erwähnt seit über einem Jahrzehnt längst Mainstream, ganz egal, ob sie von großen oder kleinen Entwicklern kommen. Mit ganz unterschiedlichen Spielen wie The Last of Us (2013), Bloodborne, Until Dawn und Dying Light, alle 2015, der The Evil Within-Reihe (2014, 2017) oder den jüngsten Remakes der Resident Evil-Reihe verbinden große Entwickler unterschiedlichste Spielmechaniken und Settings mit Horror-Elementen.

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Zugleich bedienen unzählige kleine und kleinste Independent-Studios ebenso den Markt: Von Jumpscare-Phänomenen wie Five Nights At Freddy’s (ab 2014) über klassische Sidescroller wie Inside (2016) und Little Nightmares (2017) bis hin zu bizarren Miniaturen wie Paratopic (2018) und Multiplayer-Experimenten wie GTFO (2020) oder The Blackout Club (2019) haben Horrorspiele so gut wie alle Genres erreicht; und Nachschub ist nicht nur zu Halloween immer unterwegs.

Wie werden sich VR, neue Konsolentechnologie und sonstige technischen und inhaltlichen Innovationen wohl noch auf das Spiel mit der Angst auswirken? Fest steht nur eins: Horrorspiele bleiben relevant – vielleicht auch deshalb, weil die echte Welt mit ihren realen, furchterregenden Bedrohungen die Sehnsucht nach einer Gänsehaut weckt, die per Knopfdruck wieder verschwindet. (Rainer Sigl, 31.10.2020)

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