Bei "Hedda" präsentieren Sophia Goidinger-Koch und Klaus Haidl neue Werke.

Frodl

Die Frage lieg nahe: Wird alles so stattfinden, wie gedacht? Bernhard Günther, der konzeptuelle Chefkoch von Wien Modern, will mit der Vermutung, ihn durchwirke "angespannter Optimismus", jedoch nichts zu tun haben. "Von Optimismus oder Pessimismus lasse ich die Finger. Wir nehmen die Entwicklungen wie das Wetter und sorgen für passende Kleidung." Hätte das Team nicht "die Entspannung bewahren könnten, wäre das Festival längst abgesagt", sagt Günther, der das Eröffnungskonzert für Freitag angesetzt hat. "Die Stimmung hinter den Kulissen fühlt sich ein bisschen an, als würden wir mit einem schweren Musikstück auf der Bühne stehen. Idealerweise bleibt man konzentriert und hat Spaß dabei."

Dass der Spaß in den letzten Monaten bisweilen etwas überfordert war, darf vermutet werden: "Im Sommer hat mich das Kulturministerium gefragt, ob wir einen Plan B haben. Da waren wir bereits bei Plan S ..." Die Gefahr von Programmänderungen, Absagen und Verschiebungen sei seit März also ständiger Begleiter.

"Jedes Mal, wenn die Regierung an den Schrauben der Maßnahmen dreht, prüfen wir, ob sich die Maschine noch steuern lässt. Irgendwer darf nicht über die Grenze, wartet auf das Testergebnis einer Kontaktperson oder geht in Quarantäne statt auf die Bühne." So sei 2020 ein gutes Jahr, Dirigent Nikolaus Harnoncourt zu zitieren, findet Günther: "Wahre Schönheit ist ein direkter Nachbar der Katastrophe."

Austausch zwischen Menschen

Und Onlinelösungen? Diese würden nur punktuell helfen. Etwa bei Proben. Die Begegnung mit Musik vor Ort sei jedoch primär. Es gehe ja auch um den "Austausch zwischen Menschen, die Musik machen, um die vielen Menschen, die Musik wollen. Und es geht darum, Kultur über die Pandemie hinwegzuretten." Wie Essen, Einkaufen und den öffentlichen Verkehr.

Wie kam es eigentlich zum Festival-Topos "Stimmung"? "Zunächst ist das in der Musik ein großes Thema. Seit über zwei Jahren arbeiten wir an Projekten, die über das Schwarz-Weiß der Klavierhalbtöne hinausgehen. Bis zum 18. Jahrhundert war das normal. Im 21. Jahrhundert ist es ein riesiges Feld geworden. Da kann man jetzt hineinhören."

Die Doppelbedeutung im Sinn von Atmosphäre wurde von Günther natürlich mitgedacht, "weil Musik nun einmal sehr stimmungsvoll ist. Dass inzwischen aber eine besondere Stimmung in der Luft liegt, passt umso besser. Was etwa Klaus Lang, Georg Friedrich Haas, Karlheinz Essl, Pia Palme oder Clara Iannotta im Lockdown komponiert haben, wird bei Wien Modern uraufgeführt. Da bringt die ungewöhnliche Stimmung eine Reihe therapeutischer Hörerlebnisse mit sich."

Bernhard Günther: Ideenchef von Wien Modern.
Nafez Rerhuf

Große Konzerte

Zum Wesen von Wien Modern gehört es eigentlich, auch neue Räume zu erspielen und ungewöhnliche Konzertformate zu inszenieren. Zurzeit eine unsichere Übung: "Momentan bin ich dankbar, dass wir von großen Orchesterkonzerten mit dem RSO und den Symphonikern im Musikverein, im Konzerthaus und im Stephansdom bis hin zu einem sehr dezentralen Wochenende mit kleinen Künstlerateliers und Kirchen in den Projekten ,Instrument Modern‘ und ,Orgel Modern‘ eine besondere Mischung schaffen."

Günther freut sich also, wenn "der Versuch aufgeht, mit dieser Vielfalt auch in schwierigen Zeiten" zu punkten. Fast alle neu entwickelten Formate allerdings, "die wir für besonders pandemietauglich halten, werden durch die Verordnungen zu ,Veranstaltungen ohne zugewiesene und gekennzeichnete Sitzplätze‘ nahezu unmöglich".

Angst vor Privatpartys

Vor allem für das Projekt von Georg Friedrich Haas kämpfe man dann auch "mit allen Partnern. Wir wollen verhindern, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Es ist unverhältnismäßig, aus Angst vor Privatpartys den Profibereich lahmzulegen, wenn es für neue Veranstaltungsformate etwa in Museen genaue Konzepte zu Abstand, Maske und Hygiene gibt."

Mit dem Werk von Haas soll das Festival Richtung Finale gehen: "Rund 70 bis 80 Instrumente aus sechs Jahrhunderten werden räumlich, zeitlich und klanglich koordiniert, im wahrsten Sinne des Wortes komponiert, zusammengedacht. Für einen Abend wird die Gemäldegalerie im Kunsthistorischen Museum mit ihren fast 4000 m² zu einem klingenden Gesamtkunstwerk. Allein für die drei Konzertflügel in der Kuppelhalle hat Haas 623 Notenseiten geschrieben, jede einzelne Saite wird auf fünf bis acht Nachkommastellen genau umgestimmt, sodass sich beispielsweise ganz reine Obertonakkorde spielen lassen, was verblüffende Klangeffekte ermöglicht."

Entstanden im Lockdown "in Marokko und in Arizona und mit bereits einkomponierter Abstandsregel, ist diese ,ceremony II' für Georg Friedrich Haas die ,Musik der Corona-Pandemie‘ par excellence". (Ljubiša Tošić, 29.10.2020)