München – Nach wie vor rätselt die ganze Welt darüber, wo das ehemalige Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist. Es gibt Hinweise darauf, dass er in Russland untergetaucht sein soll, bestätigen kann das aber niemand. Unabhängig von seinem Aufenthaltsort hat Marsalek den Ermittlern in Deutschland viel Arbeit hinterlassen. Die dubiosen Geldflüsse im Umfeld des 40-jährigen Wieners sind höchst komplex und nur schwer nachzuvollziehen. Um der Aufklärung etwas näher zu kommen, haben Fahnder in München einen ehemaligen Geschäftspartner von Marsalek festgenommen und beantragten einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, wie die "Süddeutsche Zeitung" ("SZ") berichtet.

Sie hoffen offenbar darauf, durch diesen Vertrauten mehr darüber herauszufinden, wie Marsalek über die Jahre mit den Millionen jonglierte – auch wenn es in dem Verfahren gegen den Mann nur entfernt um Wirecard geht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, von der Firma IMS Capital Partners 2,5 Millionen Euro veruntreut zu haben. IMS Capital dürfte primär mit Geld von Marsalek gespeist worden sein, vergangene Woche meldete das Unternehmen Insolvenz an.

Jan Marsalek ist im Juni untergetaucht, es läuft eine internationale Fahndung nach ihm.
Foto: EPA/SASCHA STEINBACH

Folge dem Geld

Es besteht der Verdacht, Marsalek habe bei Wirecard hohe Millionenbeträge abfließen lassen. Bei der Suche nach dem verschwundenen Geld stießen die Ermittler auf die Beteiligungsgesellschaft IMS Capital, die ihren Sitz in Berlin hat, aber von München aus operierte. Genauer gesagt von einer Villa in der Prinzregentenstraße, in der passenderweise Marsalek wohnte. An dieser Stelle wird es etwas kompliziert, doch die Zahnräder greifen durchaus ineinander.

IMS Capital ist einer der zwei Hauptanteilseigner des deutschen Online-Supermarktes Getnow. Das Start-up bietet seinen Service in mehr als 100 Städten an und galt als einer der am schnellsten wachsenden Lebensmittellieferdienste Deutschlands mit 130 Mitarbeitern. Anfang der Woche rutschte das Unternehmen ebenfalls in die Pleite. Insolvenz Nummer drei nach Wirecard und IMS Capital.

Wie immer undurchsichtige Struktur

Über IMS Capital soll Marsalek 50 Millionen Euro in Getnow investiert haben. Die 50 Millionen wiederum hat er sich, wie berichtet, von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun ausgeborgt. Auch von Wirecard sollen über eine asiatische Tochter 1,8 Millionen Euro in den Onlinesupermarkt geflossen sein.

Die meisten Anteile an Getnow hält mit rund 45 Prozent die Getnow Holding Limited in der britischen Steueroase Isle of Man. Wenig überraschend, wird es hier wieder schwammig. Wem das Unternehmen zuzurechnen ist, bleibt unklar. Hinter der Holding im Steuerparadies soll ein weiterer Geschäftsfreund von Marsalek stehen, hier beruft sich die "SZ" auf Insiderinformationen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, woher das Geld für die Holding kam und ob der einstige Konzernvertriebschef über diese Firma möglicherweise (Wirecard)-Geld gewaschen hat.

Forderungen über 15 Millionen Euro

Durch den Zusammenbruch des Konzerns haben auch viele österreichische Anleger hohe Aktienverluste erlitten. Der Wiener Anwalt Eric Breiteneder hat nun für 275 Betroffene im Konkursverfahren der Wirecard AG Forderungen in Höhe von rund 15 Millionen Euro angemeldet: "Vom Kleinanleger bis zu österreichischen institutionellen Investoren ist alles dabei."

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Wirecard fiel im Juni zusammen wie ein Kartenhaus, nachdem der Konzern Luftbuchungen in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro zugegeben hatte. Das Geld fehlt immer noch.
Foto: Reuters/Michael Dalder

Es hätten sich mehr Betroffene beim ihm gemeldet als erwartet, meint Breiteneder. Der Durchschnitt der Forderungsanmeldungen liege bei rund 50.000 Euro. Er versprüht einen gewissen Optimismus: "Durch die zuletzt bekannt gewordenen Verkäufe von Vermögensbestandteilen der Masse dürfen sich Geschädigte auch eine entsprechende Quote erwarten."

Verkauf für November erwartet

Der Insolvenzverwalter erwartet für November die Entscheidung über den Verkauf des Kerngeschäfts von Wirecard. Die Prüfungen durch die beiden Interessenten seien weit vorangekommen, mein Anwalt Michael Jaffé. Die Namen der beiden potenziellen Käufer nannte er nicht, laut einem Bericht sind es die spanische Bank Santander und das britische Mobilfunkunternehmen Lycamobile.

Darüber hinaus beklagt Jaffé in dem Brief, der Konzern sei "in den Monaten vor der Insolvenz leergeräumt" worden – was bedeutet, dass Manager vor der Pleite systematisch Geld beiseitegeschafft haben sollen. In dieser Hinsicht unter Verdacht steht vor allem der untergetauchte frühere Vertriebsvorstand Jan Marsalek, nach dem die Münchner Staatsanwaltschaft fahndet. Die Ermittler werfen Marsalek, Braun und anderen Verdächtigen organisierten Bandenbetrug vor. Sie sollen mit gefälschten Bilanzzahlen über drei Milliarden Euro von Banken und Investoren erschwindelt haben. (and, 29.10.2020)