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In der ORF-Reihe "Vienna Blood" ermitteln Max Liebermann (Matthew Beard) und Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer) im dunklen Wien vor dem Ersten Weltkrieg. Am 1. und 2. November kommen zwei neue Teile ins Fernsehen, bei beiden führte Umut Dağ Regie.

Drei Fragen dazu an den Regisseur von "Vienna Blood":

Wie sehen Sie die österreichische Seele, Umut Dağ?

"Die Abgründe, in die man bei 'Vienna Blood' schaut, sind keine fremden Abgründe, sondern sie haben große Parallelen zur heutigen Zeit. Es ist ein klassischer Krimi, und auf dem Pfad der Ermittlungen stoßen der junge Arzt Max Liebermann und der Polizist Oskar Reinhardt auf Hass und Schizophrenie, auf Antisemitismus, auf Menschen, die beim Militär arbeiten und in ihrem Corpsgeist zusammenhalten – Themen, die man auch heute in ähnlicher Form kennt. Im Alltag und in der Arbeit muss man sich mit der österreichischen Seele tagtäglich beschäftigen. Es ist spannend zu sehen, dass es in der Geschichte schon zur Jahrhundertwende so war. Ich bin mir nicht sicher, ob die österreichische Seele so viel dunkler ist und mehr Abgründe hat als anderswo. Das Besondere ist vielleicht, dass es hier nicht so gelebt wird wie in anderen Ländern. Der Nationalismus, wie man ihn teilweise in Ländern wie der Türkei, USA, Ungarn und Polen lebt, ist viel salonfähiger. Volksschüler müssen morgens am Schulhof die Nationalhymne singen. Aber wenn man sich an die Fahnen heftet, dass man liberal und weltoffen ist, müssen die Menschen ihren Chauvinismus eher im Geheimen leben. Das macht diese Doppelbödigkeit in Österreich aus."

Juergen Maurer (links) und Matthew Beard jagen Mörder in Wiener Milieus.
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"Wut, unterdrückte Gefühle, Pessimismus – all das spielt bei Vienna Blood eine Rolle, und es braucht meiner Meinung nach nicht viel, um Menschen durch Kränkungen an ihre Grenzen zu bringen. Das erlebe ich jetzt auch in meiner aktuellen Arbeit an 'Die Macht der Kränkung' (Drehbuch von Agnes Pluch nach der Sachbuchvorlage des Psychologen Reinhard Haller, Anm.). An Kränkungen kann man auch wachsen, aber es hängt immer davon ab, in welchem Umfeld man lebt, wo man aufgewachsen ist, welches Auffangnetz man hat. Dafür braucht es eine gefestigte psychische Reflexionsbasis, in der du auch zugeben kannst, dass du nicht über allem stehst. Als neurotischer, narzisstischer Mensch, der die Schuld immer bei anderen sucht, wird das nicht funktionieren. Aber mit einem Umfeld, das erdet, kann man über Kränkungen sprechen und über sie reflektieren. Ansonsten wird es schwierig."

Umut Dağ führte Regie bei den zwei neuen Teilen der Krimireihe "Vienna Blood" – im ORF am 1. und 2. November zu sehen.
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Welche Macht hat Kränkung über Sie?

"Eine Kränkung, die mich immer trifft, ist Ungerechtigkeit. Wenn ich spüre, dass aufgrund einer Desinformation eine Behauptung aufgestellt wird, die nicht stimmt. Wenn es um Ungerechtigkeit geht, wenn ich von Armut erfahre und daneben von reichen Menschen, die den Hals nicht vollkriegen. Das kränkt mich. Schlechte Kritiken können auch auf einer oberflächlicheren Ebene kränken , man nimmt sie immer persönlich, weil man viel Zeit in ein Projekt investiert. Es tut schon auch weh, wenn die eigene Arbeit nicht richtig wahrgenommen bzw. falsch interpretiert wird."

In "Vienna Blood" treffen Männer mit vorwärtsgewandten Ideen auf fast durchwegs traditionell gezeichnete, passive Frauenfiguren. Wollte oder konnte man dieser Wirklichkeit nichts hinzufügen?

"Ich sehe das nicht ganz so. Besonders in den neuen zwei Folgen bekommen die Frauen aktive Rollen, und da ändert sich auch die Balance. Es stimmt auch nicht ganz , dass sowohl Max als auch Oskar fortschrittlich sind. Nur Max ist es in seinem Denken und seinem psychologischen Profiling, Oskar ist genervt davon, was sich auch neckisch äußert. Also, wir haben nicht prinzipiell fortschrittliche Männer und nicht fortschrittliche Frauen. Es spielt um die Jahrhundertwende, wo Fortschritt generell mit Skepsis beobachtet wurde, womit Max auch innerhalb seiner Familie zu kämpfen hat. Wir reden von einer Zeit, in der es keine Ausnahme war, wenn sich eine Frau in eine gute Familie einheiraten wollte. Daher war es für eine Frau wie in unserem Film extrem mutig und ein emanzipatorischer Akt, eine Verlobung aufzulösen. Man muss das alles in dem Kontext der historischen Gegebenheiten sehen. Wir haben eine Buchvorlage, wir haben die Jahrhundertwende, wir haben einen Rahmen, der leider sehr männerlastig ist, und trotz allem haben wir versucht, den Frauenfiguren einen Raum zu geben, der die Gesetzmäßigkeiten der damaligen Zeit überragt." (Doris Priesching, 30.10.2020)

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