Foto: Piper

Na, das Pseudonym hat ja nicht lange gehalten. Beim Lesen habe ich mich noch gefragt, welcher angebliche Bestsellerautor sich hinter "Maxim Voland" verbergen mag. Und ehe ich noch zur Rezension gekommen bin, hat er sich auch schon gestellt: Es ist der mit seiner "Zwerge"-Romanreihe bekannt gewordene Markus Heitz. Finde ich jetzt irgendwie witzig, dass es ein Fantasy-Star ist. In meinen während des Lesens entstandenen Notizen hatte ich nämlich noch vermerkt: Action sitzt, aber Schwächen im Worldbuilding.

Dieses Worldbuilding läuft kurz gesagt darauf hinaus, dass nicht die BRD die DDR geschluckt hat, sondern umgekehrt. Und zwar schon 1949, als die westlichen Besatzungsmächte mysteriöserweise aus ganz Deutschland abzogen und es (bis auf Westberlin) den Sowjets überließen. Mehr dazu später. Die daraus entstehende Groß-DDR erlebte ein sagenhaftes Planwirtschaftswunder, das bis zur Gegenwart ungebrochen anhält. Sogar die UdSSR, die auch in diesem alternativen Geschichtsverlauf brav zerfallen ist, hat die DDR überlebt und sich als Wirtschafts- und Technologiemacht zum Global Player gemausert. Auch dazu später mehr.

Drei Fäden

Erst mal zu den Hauptfiguren, derer es drei gibt. Da hätten wir zunächst den langjährigen Stasi-Oberst Gustav Kuhn, der insgeheim längst mit dem Regime abgeschlossen hat und die Republikflucht plant. Kurz vor Verwirklichung seiner Pläne muss er jedoch vom Berliner Fernsehturm aus mitverfolgen, wie sich in der Stadt eine Giftgaswolke ausbreitet und tausende Menschen tötet. Anstatt zu desertieren, lässt er sich nun zum Sonderermittler machen – getrieben von durchaus persönlichen Motiven: Seine heimliche Geliebte war nämlich eines der Opfer.

Aber war das Giftgas zurückgelassenes Sowjet-Erbe oder eine vergessene Superwaffe der Nazis? Und welche Terror-Organisation hat es eingesetzt? Während Kuhn diesen Fragen im Osten nachgeht, tut parallel dazu im Westen Harper Parker-Moreau dasselbe, ihres Zeichens eine kanadischstämmige MI6-Agentin mit dem Herzen eines Haifischs. In diesem Handlungsstrang lernen wir Westberlin als kapitalistisches Biom im Miniaturformat kennen, das von den Gebirgslagen der Luxuswolkenkratzer bis zum Sumpf der Slums sämtliche Ökozonen auf wenigen Quadratkilometern zusammenpfercht. So mancher Berliner Leser von "Die Republik" wird staunen, wie sein beschaulicher Kiez hier zum Ghetto unter Bandenherrschaft mutiert ist.

Neben diesen beiden Profis bringt Voland alias Heitz auch jene Variante von Thriller-Protagonisten ein, die gänzlich unschuldig ins Geschehen gerät. Das ist in diesem Fall Christopher Jean Mueller, ein in Frankreich lebender Übersetzer mit deutschen Wurzeln, der wegen einer Familienangelegenheit rüber in die DDR muss. Wie dieser Handlungsstrang mit den beiden anderen verknüpft sein soll, ist zunächst noch nicht offensichtlich – doch wir werden es später auf drastische Weise erfahren.

Einschuss- und Plotlöcher

Der Plot, der sich daraus ergibt, ist keineswegs neu – das übliche Dickicht aus Agentennetzwerken, Terrorzellen, Gangstern und rivalisierenden Geheimdiensten –, wird aber von der Action in Schwung gehalten. Und einmal mehr darf sich jeder bedanken, wenn ihn der Autor als Hauptfigur auserwählt hat. Nur so entgeht man auf wundersame Weise dem Kugelhagel, der regelmäßig diverse Nebenfiguren niedermäht.

Allerdings leidet der Plot auch unter zwei – meiner Meinung nach – Fehlentscheidungen. Die kleinere betrifft jenen Faktor, um den sich das ganze Geschehen drehen soll. Da wird zunächst das Giftgas unbekannten Ursprungs als Bedrohungslage aufgebaut ... um später dann sang- und klanglos durch etwas anderes ersetzt zu werden. Liest sich für mich, als hätten den Autor während des Schreibens Zweifel befallen, ob sein Plot-Driver auch wirklich ausreichend ist.

Der dickere Hund ist aber das eingangs erwähnte Rätsel, warum die Westmächte damals Deutschland aufgegeben haben. Ein-, zweimal sind wir ganz knapp an einer Antwort dran, ehe Heitz sie uns mit boshaftem Vergnügen doch wieder vorenthält. Also fiebern wir umso mehr der großen Aufklärung am Ende entgegen, und dann ... dann kommt sie nicht. Jedenfalls nicht innerhalb der Handlung, sondern halbherzig nachgereicht IM NACHWORT. Also da, wo ein Autor normalerweise die Monate des Schreibens Revue passieren lässt, Inspirationsquellen nennt und sich bei der geduldigen Ehefrau bedankt. So etwas habe ich überhaupt noch nie gesehen. Hat George Lucas etwa Darth Vader und Luke Skywalker auf Bespin schweigend auseinandergehen lassen, um dann im Nachspann Vaders Vaterschaftsnachweis einzublenden? Diese erzählerische Entscheidung ist für mich einfach nicht nachvollziehbar. Außer Heitz war sich auch in diesem Punkt unsicher, ob die Idee etwas taugt.

Nicht Fisch noch Fleisch

Noch einmal zurück zum Worldbuilding. So wirklich erschließt sich einem nicht, wie diese DDR funktioniert (ob tatsächlich noch planwirtschaftlich oder doch eher kapitalistisch durch die Hintertür) und wie sie zur technologischen Supermacht aufgestiegen ist. Vielleicht ja einfach nur durch genialen deutschen Erfindergeist. Dessen überlegene Erzeugnisse werden einem jedenfalls laufend unter die Nase gerieben: Roland hielt in seiner rechten Hand ein brandneues Zeiro Galaxie Elf und prüfte den Nachrichteneingang. Robotron und Zeiss hatten mit ihrem neusten Mobiltelefon die Konkurrenz aus Fernost und dem Westen komplett abgehängt. Dergleichen Werbeeinblendungen entwickeln sich zu einer Art Running Gag – aber nicht genug, um wirklich als satirisch wahrgenommen werden zu können. Wie es beispielsweise die ebenfalls im Reichtum schwelgende Alternativ-DDR in "Schwarzes Gold aus Warnemünde" von Harald Martenstein & Tom Peuckert ganz eindeutig war.

Im Vorwort heißt es, dass es im Roman weder um Ostalgie noch um Ost-Bashing gehe. Was nach einer ausgewogenen Herangehensweise klingt, im Ergebnis aber nur irgendwie unentschlossen rüberkommt. Ein bisschen Kritik am Überwachungsstaat, ein bisschen eben doch mit der Ostalgie spielen (Also bitte, der allererste Satz der Handlung lautet: "Einmal der halbe Goldbroiler mit Bratkartoffeln für Sie, Herr Oberst.", und er fällt just im berühmten Drehcafé des Fernsehturms.), ein bisschen Vielleicht-Satire. "Die Republik" liest sich, als hätte Heitz weder ostalgische noch besserwessische Leser vor den Kopf stoßen wollen. Und so hat der Roman von allem ein bisschen und von nichts wirklich genug.

Nur die allerletzte Schlusswendung mit Gustav Kuhn fand ich ein konsequentes Statement. Aber vielleicht ist sie ja auch als Cliffhanger gemeint. Weitere Bücher von "Maxim Voland" hat der Verlag jedenfalls bereits in Aussicht gestellt.