Vor der Kirche in Nizza postieren Polizisten.

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Ein junger Mann drang am Donnerstagmorgen kurz vor neun Uhr in die Basilika Notre-Dame de l’Assomption (dt.: Mariä Himmelfahrt) von Nizza ein und griff die Anwesenden mit einem Messer an. Ersten Polizeimeldungen zufolge brachte er eine 70-jährige Frau sowie den Pfarrhelfer um. Eine zweite, ebenfalls am Hals verletzte Frau konnte sich in eine benachbarte Bar retten, starb dort aber kurz darauf. Inoffiziellen Angaben zufolge sollen bei der Attacke weitere Personen verletzt worden sein.

Bei dem mutmaßlichen Attentäter handelt es sich Ermittlern zufolge um einen 21-jähriger Tunesier. Er soll am 20. September mit anderen Migranten über Lampedusa nach Europa gekommen sein, berichten italienische Medien unter Berufung auf Ermittlerkreise. Demnach wurde er am 9. Oktober in einem Flüchtlingslager in Bari registriert. Wann und wie er nach Nizza gelangte, sei noch unklar, hieß es weiter.

Von den italienischen Behörden hatte er einen Abschiebungsbescheid erhalten, wie italienische Medien unter Berufung auf Ermittlerkreise berichteten. Gegen ihn liefen demnach Ermittlungen wegen illegaler Einwanderung.

Ordnungshüter bedroht

Der Angreifer wurde nach einigen Minuten von einer Polizeipatrouille in der Basilika gestellt. Er soll die Ordnungshüter bedroht haben und wurde darauf von mehreren Schüssen unter anderem in die Schulter getroffen. In ein städtisches Krankenhaus gebracht, soll er noch im Verlauf des Transports "Allahu akbar" ("Gott ist größer") skandiert haben.

Die Messerattacke in Nizza mit drei Toten war laut Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ein "islamistischer Terroranschlag". Frankreich sei angegriffen worden, sagte der 42-Jährige am Donnerstag in der südfranzösischen Küstenmetropole. Er kündigte einen verstärkten Schutz von Kirchen und Schulen an. Die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlung. Premierminister Jean Castex gab bekannt, dass er das französische Anti-Terror-Dispositiv "Vigipirate" um eine Dringlichkeitsstufe anhebe.

Ein weiterer Vorfall, der sich in der 200 Kilometer von Nizza entfernten provencalischen Stadt Avignon ereignete, steht mit dem Angriff in Nizza nicht im Zusammenhang. In der Nähe einer psychiatrischen Klinik griff ein Mann Passanten gegen elf Uhr mit einer Faustfeuerwaffe an – er wurde von Polizisten erschossen. Laut Polizei von Avignon gab es dabei keinen Terrorhintergrund.

Angriff vor französischem Konsulat in Dschidda

Für eine internationale Dimension sorgte ein weiterer Anschlag in Saudi-Arabien. Ein Einheimischer griff den Türsteher des französischen Konsulats von Dschidda mit einem Messer an, wie die französische Botschaft mitteilte. Das Opfer wurde unter anderem am Hals verletzt, der Angreifer aber rasch festgenommen.

Mindestens dieser Angriff könnte auf die Debatte um die Mohammed-Karikaturen des Pariser Satiremagazins "Charlie Hebdo" zurückgehen. Vor zwei Wochen hatte ein 18-jähriger Tschetschene im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine einen Geschichtslehrer ermordet und enthauptet, nachdem dieser im Rahmen der Staatsbürgerkunde das Thema Meinungsfreiheit mit den umstrittenen Zeichnungen illustriert hatte.

In Paris läuft seit September der Prozess gegen die Helfershelfer jener Terroristen, die 2015 zwölf "Charlie"-Mitarbeiter ermordet hatten. Das Magazin veröffentlichte aus diesem Anlass alte Karikaturen. In diversen Ländern wie beispielsweise Pakistan kommt es seither zu Protestkundgebungen. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Karikaturen als "islamfeindlich" bezeichnet. Das provokative Wochenmagazin karikierte ihn darauf, wie er die islamische Bekleidung einer Frau hochhebt und ihren Hintern entblößt.

Macron reiste nach Nizza

Nach Bekanntwerden des Anschlags in Nizza unterbrach die Nationalversammlung in Paris ihre Debatten für eine Schweigeminute. Macron reiste umgehend an den Tatort in Nizza. Die Türkei verurteilte den Anschlag, die USA versicherten Frankreich ihrer Unterstützung.

Für Entsetzen und Bestürzung sorgt in Frankreich nicht nur der Angriff auf Kirchgänger, sondern auch das Symbol Nizza: Die Metropole der Côte d’Azur war 2016 von einem der mörderischsten Terrorattacken heimgesucht worden, als ein Attentäter am französischen Nationalfeiertag mit einem Lastwagen 87 Menschen zu Tode fuhr.

Nizza war auch schon vor einigen Jahren Schauplatz eines verheerenden Terrorangriffs.
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Auch mit Kirchenanschlägen hat Frankreich Erfahrung. Im Pariser Vorort Villejuif wurde ein Anschlag während einer voll besetzten Messe im Jahr 2015 knapp verhindert; ein Jahr später wurde dem Priester der Kirche von Saint-Etienne-du-Rouvray (Normandie) die Kehle durchgeschnitten.

Bataclan-Anschlag jährt sich

All dies kommt nun in Frankreich wieder hoch. Damit nicht genug, wird sich am 13. November auch der Anschlag auf das Konzertlokal Bataclan zum fünften Mal jähren. Damals lenkte die syrisch-irakische Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) aus Syrien die gut organisierten Banlieue-Jihadisten.

Nach dem IS-Niedergang handeln Attentäter in Frankreich teilweise auf eigene Faust. Die Früherkennung dieser geheimdienstlich nicht registrierten Täter sei fast unmöglich, meinte der Polizeigewerkschafter David-Olivier Reverdy: "Das sind Unbekannte, die aus dem Nichts kommen, mit Waffen, die man sich überall beschaffen kann." Die Pariser Presse nennt sie bisweilen "Lowcost-Terroristen".

Ratlosigkeit prägte auch die sofort einsetzende Debatte um den Schutz der französischen Kirchen. Der konservative Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, forderte im Fernsehsender BFM die Rückkehr zum Notrecht, wie es in Frankreich von 2015 bis 2017 gegolten hatte. Ein Polizeivertreter entgegnete: "Man kann ja nicht vor jede der 40.000 Kirchen im Land einen Gendarm stellen." (Stefan Brändle, APA, 29.10.2020)