Wer hat’s gesagt? "Ich möchte positiv an die Sache herangehen. Ich glaub, wenn wir uns mit dem Thema Integration beschäftigen, dann ist es mal wichtig abzugrenzen: Worum geht’s da eigentlich. Da gibt’s sehr viele, die werfen Glaubensrichtungen, Zuwanderung, Integration, Asyl, Flüchtlinge immer in einen Topf und glauben, es ist ein und dieselbe Sache." Sachlich wolle er an die Thematik rangehen, erklärte der zuständige Staatssekretär 2011 im TV-Interview und fügte gleich hinzu: "Es geht nicht immer um die Frage, Kopftuch ja/nein, Minarett ja/nein oder Burka ja/nein. Ich glaub, das sind sehr populistische Themen, die zweifelsohne Menschen bewegen, ich glaub nur, dass das nicht der Zugang ist, mit dem man in der Sache etwas weiterbringen kann."

Das Zitat des heutigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz stammt aus dem Buch "Integration erwünscht?", das die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger gemeinsam mit Fachkollege Oliver Gruber gerade veröffentlicht hat. Darin zeigen sie nicht nur, wie sich die Argumentation des ÖVP-Chefs über die Jahre verändert hat. Der Scheinwerfer wird auf die österreichische Integrationspolitik gerichtet – mit speziellem Fokus auf die gesetzlichen Maßnahmen der jüngsten Vergangenheit, sprich den Wechsel von Rot-Schwarz an der Regierungsspitze auf Türkis-Blau, bis hin zur aktuellen türkis-grünen Koalition und ihren gesetzlichen Maßnahmen.

Sieglinde Rosenberger, Oliver Gruber, "Integration erwünscht? Österreichs Integrationspolitik zwischen Fördern, Fordern und Verhindern".€ 25,– / 232 Seiten. Czernin-Verlag, Wien 2020
Foto: Czernin-Verlag

Zur Erinnerung: Auch das Regierungsprogramm 2020–24 widmet sich der seit Jahren köchelnden Kopftuchdebatte – das Verbot soll ausgeweitet werden, für Mädchen bis 14 Jahre. Deutsch als Schulreifekriterium blieb mit den Grünen ebenso erhalten wie die umstrittenen Deutschförderklassen für Kinder und Jugendliche mit schlechten Sprachkenntnissen.

Symbolische Integrationspolitik

Auch theoretisches Unterfutter bietet das Werk: Wir lernen vom Unterschied zwischen "dünnem" und "dickem" Populismus und welchen Wandlungsprozess die ÖVP hier vollzogen hat. Ebenso geht es um die Teilhabe, die ganz zentral zum Integrationsprozess gehöre, beim österreichischen Fokus auf Anpassung aber allzu oft hintansteht. So werde auch die Verleihung der Staatsbürgerschaft – anders als in anderen Ländern – nicht als Instrument während des Integrationsprozesses betrachtet, sondern "als finale Belohnung" einer erfolgreichen Integration. Ein "assimilatorisches Grundverständnis" kennzeichne die österreichische Politik in diesem Bereich, heißt es in "Integration erwünscht?".

Rosenberger und Gruber legen offen dar, was symbolische Integrationspolitik heiße, nämlich: "keinen Zugewinn an Integration für die Betroffenen, denn sie richtet sich primär an die wählende Mehrheit". Was das im Umkehrschluss bedeuten könnte? Von einer möglichen Reethnisierung schreiben die Autoren. Also einer Rückbesinnung darauf, worüber sich die eigene Gruppe vornehmlich definiert. Das sei aus Gründen des Selbstschutzes bei Diskriminierungserfahrungen durchaus naheliegend.

Separierungen und Verbote

Die Bilanz des Autorenduos: Seit Österreich, einst Einwanderungsland wider Willen, Integration als Politikfeld erkannt hat, wurde relativ bald der Weg in Richtung Separierungen und Verbote eingeschlagen. Zwar könne Desintegration nicht als Ziel dieser Politik benannt werden, sie werde jedoch "bewusst in Kauf genommen". Wenig überraschend haben Rosenberger und Gruber eine ganze Reihe von Veränderungsvorschlägen für die interessierte Leserschaft. Ein Auszug aus dem Plädoyer gegen Ende des Buches: "Die Regelstrukturen sind auf Diversität als Normalfall und nicht als Ausnahmefall ein- beziehungsweise umzustellen." Klingt nach Arbeit. (Karin Riss, 29.10.2020)