Met-Direktor Max Hollein freut sich über ein höheres Spendenaufkommen.

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Als der Österreicher Max Hollein im August 2018 das größte Museum der Welt, das Metropolitan Museum in New York, übernahm, war das eine Sensation. Im heurigen Jahr musste er das Haus, das jährlich sieben Millionen Besucher anzieht, durch eine sechsmonatige Schließzeit manövrieren.

STANDARD: Sie konnten das Met erst vor zwei Monaten wieder öffnen. Wie ist die Lage?

Hollein: Das war ein ganz wichtiger Moment für das Museum und für New York. Ein Zeichen für Normalität und ein Neubeginn des öffentlichen Lebens. Man hat gemerkt, wie sehr das Museum den New Yorkern gefehlt hat. Das Publikum kommt jetzt mit neuer Aufmerksamkeit. Es gibt eine Reihe von Sicherheits- und Hygienebestimmung, so wie überall sonst.

STANDARD: Sind die Besucher auch so zurückhaltend wie in Österreich?

Hollein: Normalerweise kommen über 30.000 Besucher am Tag. Am Wochenende haben wir jetzt 7.000 bis 8.000 Besucher, unter der Woche 2.000 bis 3.000.

STANDARD: Das dürfte ein vorwiegend lokales Publikum sein, oder?

Hollein: 70 Prozent unserer Besucher waren Touristen. Es gibt auch innerhalb der USA Reisebeschränkungen, neben internationalen Touristen fehlen auch amerikanische.

STANDARD: Das schmerzt.

Hollein: Man sollte die Dinge anders sehen: Ein Museum ist für das Publikum da, egal, wie groß dieses ist. Es ist zentral für das gesellschaftliche Zusammenleben. Dass wir wiedereröffnet haben, hatte nichts mit finanziellen Überlegungen zu tun. Wir werden in den kommenden zwei, drei Jahren nicht an die Besucherzahlen herankommen, die wir vor Covid hatten.

STANDARD: Die Museen in den USA sind massiv von Eintrittsgeldern und Spenden abhängig. Wie geht es Ihnen?

Hollein: Unsere Prognose ist, dass wir innerhalb von zwei Jahren 150 Millionen Dollar verlieren könnten. Damit das nicht passiert, haben wir zügig Maßnahmen ergriffen. Das ist der Unterschied zwischen amerikanischen und europäischen Museen, wo die öffentliche Hand viel beisteuert. Amerikanische Museen müssen unmittelbar und rasch reagieren. Es gibt keinen Dialog mit der öffentlichen Hand über Kompensationen und Rettungsschirme.

STANDARD: Sie haben über 350 Mitarbeiter abgebaut.

Hollein: Wir haben unsere Mitarbeiter um 20 Prozent reduzieren müssen, bei einer Gesamtzahl von 2.300. Wir hatten über 50 Ausstellungen im Jahr, jetzt planen wir unter 30. Unter anderem durch diese Maßnahmen können wir den Verlust abfedern. Man muss festhalten, dass das Met eine sehr stabile Institution ist. Wir werden aus dieser Phase gut herauskommen. Unser Kapitalstock beträgt 3,4 Milliarden Dollar.

STANDARD: Donnerstagabend eröffneten Sie Ihre große Modeausstellung. Diese wird traditionell von einer Modegala begleitet, ein Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens in New York und ein wichtiger Fundraising-Event. Die Gala wurde jedoch abgesagt. Fließen die Spenden dennoch?

Hollein: Das Spendenaufkommen ist momentan fast höher als in normalen Zeiten. Durch Unterstützung der Mäzene und Förderer sind in den vergangenen Monaten 25 Millionen Dollar an zusätzlichen Spenden zusammengekommen. Richtig ist aber, dass viele Stiftungen oder Unternehmen derzeit andere Prioritäten haben als die Unterstützung von Museen. Das ist auch richtig so. Jetzt muss man soziale Einrichtungen unterstützen, kleinere Institutionen. Das Met sollte nicht die Priorität Nummer eins sein. Ich sage das ganz offen.

STANDARD: Manche US-Museen veräußern Kunst, um über die Runden zu kommen.

Hollein: Da muss man die amerikanische Perspektive sehen: Hier veräußern Museen seit hundert Jahren Kunstwerke aus der Sammlung, das ist kein Tabubruch, wie das in Europa der Fall wäre. Dadurch können neue Kunstwerke angekauft und die Sammlungen verbessert werden. Vor einigen Monaten hat der amerikanische Museumsverbund ein Zeitfenster von zwei Jahren festgesetzt, in dem Museen diese finanziellen Mittel nicht nur für neue Kunstwerke, sondern auch für die Betreuung von Sammlungen, also auch für Gehälter etc., verwenden können.

STANDARD: Bei Ihnen ist das auch der Fall?

Hollein: Kein Museum in den USA schließt das derzeit a priori aus. Wir wissen alle nicht, was noch passiert. Derzeit ist es aber kein Thema, vielleicht könnte es aber dazu kommen.

STANDARD: Ist es denkmöglich, dass eine Reihe von Kulturinstitutionen in den USA die Pandemie nicht überleben wird?

Hollein: Für viele ist die Situation existenzbedrohend, also: Ja. Derzeit nehmen diverse private Stiftungen wie die Ford oder Mellon Foundation riesige Summen in die Hand, um kleinere Institutionen, die in Schwierigkeiten sind, zu unterstützen. Dabei handelt es sich pro Institution um Millionenbeträge. Es kann aber durchaus dazu kommen, dass sich die Gesamtdichte an Kulturinstitutionen verringern wird.

STANDARD: Wie könnte die Pandemie die amerikanische Kunstwelt sonst noch verändern?

Hollein: Vieles hat an Geschwindigkeit gewonnen, was sich vorher schon angekündigt hatte. Wir leben in einer Zeit, in der Nationalismus, Xenophobie, Nationalstaaterei immer größere Themen werden, Reisebeschränkungen und neue Grenzen limitieren den Austausch. Kulturelle Institutionen werden sich also immer stärker mit diesen Themen befassen und eine Gegenposition entwickeln müssen. Ein enzyklopädisches Museum, wie es das Met ist, steht genau dafür: Das Fremde soll hier kennengelernt und als etwas Gemeinsames verstanden werden.

STANDARD: Kommende Woche findet die Präsidentschaftswahl statt. Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Wahl Trumps keinen Einfluss auf die amerikanische Museumswelt hatte.

Hollein: Diese Aussage bezog sich auf die Frage, ob Gelder anders verteilt wurden. Für die Finanzierung von Museen ist es egal, wer Präsident ist. Aber natürlich hat die Wahl Trumps in den letzten vier Jahren zu einer Politisierung und Spaltung der Gesellschaft geführt. Dadurch wird vieles, was wir im Museum tun, noch politischer gesehen.

STANDARD: Wie ist Ihre Prognose für Dienstag?

Hollein: Ich besitze nur die Green Card, darf selbst nicht wählen. Ich erhoffe mir durch die Wahl von Joe Biden ein Amerika, das wieder stärker für jene Werte steht, für die Amerika auch international so hochgeschätzt wird.

STANDARD: Der Ausgang der Wahl ist klar?

Hollein: Nein, die Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen, die emotionale Aufladung der Wähler ist groß. Wir haben das historisch größte Wähleraufkommen seit 100 Jahren. Es ist noch einiges offen. (Stephan Hilpold, 30.10.2020)