Lydia Haider als böser Nikolaus: In diesem Buch steht aufgeschrieben, was übers Jahr ihr so getrieben.

Foto: Julien Segarra

Ordentlich schiefgegangene christliche Erziehungen bewirken seit jeher interessante künstlerische Ergebnisse. Leider leiden die Betroffenen oft ihr Leben lang an den Nachwirkungen. Allerdings stellen in diesem Zusammenhang konsultierte Therapeuten nach dem Kreuz oft eine weitere Rute ins Fenster: Falls man das wegtherapiert, könnte die kreative Quelle versiegen.

Kurz gesagt, wenn es denn Künstlern gutgeht, ist das schlecht für die Kunst. Falls das alles nicht von Neurosen oder anderen Kleschern befeuert werden sollte: Irgendwas bleibt immer picken. Die Pose zählt dabei natürlich genauso. Immerhin gibt Haider an, aus einem "linken Haushalt zu stammen".

Weit davon entfernt, diesbezüglich in kabarettistisches Fahrwasser zu geraten, arbeitet sich Schriftstellerin Lydia Haider an einem liturgiegetränkten Wutbürgerinnen-Programm ab, das sich im Wesentlichen Weihrauch und myrrhe verdankt. Unvergessen etwa ihre atem-, punkt- und kommalose Tirade Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi. Ein Gesang von 2018. Am 3. Dezember wird die Bearbeitung ihres Romans Am Ball. Wider die erbliche Schwachsinnigkeit im Wiener Schauspielhaus Uraufführung feiern. Im Jänner zieht das Wiener Volkstheater mit dem Stück Kreuz brechen nach.

Macht eine Messe!

Rechtzeitig zu Allerseelen veröffentlicht die Wiener Autorin mit katholisch-oberösterreichischem Migrationshintergrund endlich ihren lange vorbereiteten musikalischen Amoklauf für das Kirchengestühl südlich des Weißwurstäquators.

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Die Band nennt sich gebenedeit. Sie besteht neben Haider, die auf der Bühne aus ihrem großen Buch der Sorgen vorträgt und dabei streng nach christlichem Ritus Gift und Galle spuckt, noch aus Johannes Oberhuber am Bass und der verstrahlten Orgel sowie Josua Oberlerchner am Schlagzeug.

Im Gegensatz zum fröhlichen Kreistanzseminar des Neuen Testaments interessiert sich das Trio gebenedeit auf dem Album Missgeburt. Macht eine Messe! (Problembär Records)allerdings eher für die schattigen Seiten des Christentums. "Macht eine Messe!" findet im Englischen seine Entsprechung in "to make a mess". Das bedeutet unter anderem "schweinigeln", "eine Sauerei machen" oder "Mist bauen". Mit den Mitteln der Liturgie und einer ordentlichen Versaubartelung kirchlicher Manipulationstechniken bewegt sich Lydia Haider in ihrem Vortrag in Stücken wie Gloria (Die Viren sollen krepieren), Sanctus (Falsche Sau) oder Ausmarsch (Missgeburt) auf interessanten Spuren zurück in die Musikgeschichte.

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Die Mischung ist schneidig. Sadistische Kinderstimme trifft auf vom Messwein unterstützte Rabiatpredigt. Wer sich an die US-Extremsängerin Diamanda Galás und ihre Litanies of Satan von 1982 erinnert, ist dabei: "Wahrheit und Mist / Was könnte je näher beisammenliegen? / Freilich bist du der Mist / Ein ganzer Misthaufen bist du!" Dazu rumpelt es und pumpelt es schön repetitiv und schlecht gelaunt im niederen Geschwindigkeitsbereich dahin. "Always different, always the same."

Albumpräsentation, So, 1. 11., Chelsea, 1080 Wien, 20 Uhr

(Christian Schachinger, 30.10.2020)