STANDARD: Am Samstag wird der Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER) mit neun Jahren Verspätung eröffnet. Sind Sie stolz, dass Sie schaffen, woran Ihre Vorgänger scheiterten?

Lütke Daldrup: Ich bin stolz auf mein Team. Hinter uns liegen viele Monate harter, kleinteiliger Arbeit, um die Baukatastrophe in Ordnung zu bringen. Parallel haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit großem Engagement den Betrieb an den bestehenden Flughäfen Schönefeld und Tegel mit ihrer sehr alten Infrastruktur am Laufen gehalten.

STANDARD: Wie haben Sie das Ungeheuer BER gezähmt?

Lütke Daldrup: Als ich 2017 antrat, war gerade ein weiterer Eröffnungstermin geplatzt. Wir brauchten klare zeitliche Orientierung, um Verlässlichkeit zu schaffen. Wichtig war, Risiken gut zu kalkulieren und ausreichend Puffer einzuplanen.

STANDARD: Was war das größte Problem, das Sie 2017 vorfanden?

Lütke Daldrup: Es gab nie das eine große Problem, sondern einige große und unzählige kleine technische Probleme. Allein bei der Brandmeldeanlage und der Sicherheitsbeleuchtung mussten wir rund 20.000 Mängel abarbeiten. Das haben wir der Reihe nach getan, das hat viel Zeit und Geld gekostet.

STANDARD: Wie konnte es – trotz der hochgelobten deutschen Ingenieurskunst – zu diesem Drama kommen?

Lütke Daldrup: "Es gab am BER nie das eine große Problem, nur viele kleine."
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Lütke Daldrup: Auf diese Frage gibt es keine einfachen Antworten. Es kommen viele Dinge zusammen. So sind die Passagierprognosen immer weiter gestiegen. Als Folge wurden allein die Terminal- und Pierflächen während der Bauphase von 220.000 auf 360.000 Quadratmeter Fläche erweitert. Nach dem 11. September 2001 kamen neue Sicherheitsanforderungen hinzu. Wir mussten zudem unzählige Normen einhalten.

STANDARD: Kann man aus dem BER-Debakel Lehren für andere Großprojekte ziehen?

Lütke Daldrup: Beispielsweise dass man bei Großprojekten ausreichend Zeit für die Planung braucht. Danach sollte möglichst wenig geändert werden. Zudem brauchen wir bei Bauvorschriften und Normen eine Entschlackung, damit Europa im weltweiten Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben kann. Letzteres ist vermutlich nur schwer umzusetzen.

STANDARD: Während des Sommers wurde mit tausenden Komparsen geprobt. Gab es da noch Probleme?

Lütke Daldrup: Große Probleme gab es nicht. Es ging vor allem um Kleinigkeiten wie eindeutigere Beschilderungen oder größere Abfalleimer. Das Gebäude ist ja seit April fertig. In den vergangenen sechs Monaten haben wir daraus einen funktionierenden Flughafen gemacht, nicht nur mithilfe von rund 10.000 Komparsen: Zugleich übten auch rund 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Flughafengesellschaft und ihrer Partner, also auch von den Airlines, Polizei oder Zoll, alle Abläufe und Prozesse.

STANDARD: Was mögen Sie am BER?

Lütke Daldrup: Unser neues Terminal etwa, es ist lichtdurchflutet mit angenehmer Atmosphäre, nicht überheblich oder gar bombastisch. Wir haben Naturstein auf dem Boden und Nussbaumfurnier an den Wänden. Sehr praktisch ist der Bahnhof direkt unter dem Terminal, das gibt es nirgendwo sonst in Deutschland. Überhaupt ist es ein Airport der kurzen Wege. Vom Check-in gehen Sie maximal 700 Meter bis zum weitesten Gate in den Seitenpiers.

STANDARD: Die Eröffnung findet nun ausgerechnet während der Pandemie statt. Nur wenige Menschen fliegen. Ist das ein Wermutstropfen?

Lütke Daldrup: Ja, das ist sehr bitter. 2019 hatten wir in Schönefeld und Tegel 36 Millionen Passagiere, dieses Jahr sank die Zahl in den ersten drei Quartalen auf 8,5 Millionen. Aber das wird sich wieder ändern. Wenn die Krise überstanden ist, werden wir uns wieder um unsere Ausbaupläne kümmern.

Alles soll glänzen, wenn am Samstag die ersten Maschinen am BER landen. Allerdings werden es, wegen Corona, nur wenige sein.
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STANDARD: Wie lange hängt der BER finanziell noch am Tropf des Bundes, Berlins und Brandenburgs?

Lütke Daldrup: Gewinne ab Mitte der 20er-Jahre – das war der Plan vor der Corona-Pandemie. Nun müssen wir sehen, wie lange die weltweite Krise andauert. Das ist schwer abzuschätzen. Allein in Deutschland verlieren die Airports 2020 zwei Milliarden Euro. Wir haben uns aber bereits ein hartes Sparprogramm auferlegt.

STANDARD: Drängen Sie deshalb auf mehr internationale Verbindungen?

Lütke Daldrup: Die Hauptstadtregion braucht mehr Langstreckenverbindungen, um wirtschaftlich wieder in Schwung zu kommen. Die Infrastruktur ist mit dem BER geschaffen. Schon vor Corona haben wir uns um den nordamerikanischen Markt bemüht. Und wir brauchen mehr Flugrechte für Asien. Hier ist die Politik gefragt. Man kann nicht nur auf Frankfurt und München setzen und die Hauptstadtregion und Ostdeutschland abschneiden.

STANDARD: Aber der BER setzt nicht nur auf Geschäftsreisende?

Lütke Daldrup: Im Gegenteil. Berlin ist eine starke Destination für Privatreisen, viel stärker als München und Frankfurt. Österreich liegt bei Flügen von und nach Berlin an siebenter Stelle. 2019 kamen 1,25 Millionen Gäste, 2020 waren es wegen Corona bisher 200.000, aber das wird sich rasch erholen. Man kann Konferenzen digital abhalten, aber nicht digital Urlaub machen.

STANDARD: Am Samstag zur Eröffnung gibt es keine Party. Schade?

Lütke Daldrup: Nach dem langen Warten auf den Flughafen und den vielen Pannen wäre eine Party schlicht unangemessen. Wir machen einfach auf, das haben wir schon vor Corona entschieden. Aber die Passagiere der ersten beiden Maschinen werden natürlich angemessen begrüßt. (Birgit Baumann, 30.10.2020)