Die US-amerikanische Museumslandschaft befindet sich seit der Pandemie in einer Zäsur, die irreversible Folgen haben könnte. Hier Jasper Johns’ ikonisches Bild "Flag".

Imago / Ray Tang

Es handle sich um eine Krise ohne Präzedenzfall, mit globalen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die weder in ihrem Ausmaß noch zeitlich absehbar seien. – Brent Benjamins Aussage eint derzeit nahezu alle Branchen. Als Präsident der amerikanischen Association oft Art Museum Directors (AAMD) bezog er sich damit jedoch auf die Situation der Museen in den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko, die sich in einem wesentlichen Punkt erheblich von Institutionen in Europa unterscheidet: Sie werden nur geringfügig öffentlich subventioniert, in einer Größenordnung von etwa fünf Prozent des jährlichen Budgets, der Rest muss anderweitig finanziert werden.

Eine Herausforderung, der sich Benjamin als Direktor des Saint Louis Art Museum seit 20 Jahren stellt. Die Pandemie beschert der US-amerikanischen Museumslandschaft jetzt allerdings eine Zäsur, die irreversible Folgen haben könnte. Denn das bisherige Finanzierungsmodell gerät ins Wanken.

Fehlende Einnahmen

Durch die monatelange Schließung der Museen fehlen Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Shopverkäufen oder Raumvermietungen. Verschärfend kamen Turbulenzen auf den Finanzmärkten hinzu, die für herbe Rückschläge sorgen: Dort, wo das von einstigen Donatoren zweckgewidmete und von den Museen veranlagte Stiftungsvermögen sonst Mittel für den laufenden Betrieb abwirft, verzeichnet man Einbußen oder überhaupt Ebbe.

Auf nennenswerte Spenden Vermögender, denen die Erhaltung der tausenden über die Bundesstaaten verteilten Kulturinstitutionen über die Pandemie hinaus ein Anliegen ist, darf man – bei aller Tradition dieses Segments der Wohltätigkeit – zwar hoffen, aber nicht vertrauen. Namhafte große Häuser, deren Renommee Gönnern automatisch zu Prestige verhilft, werden davon eher profitieren als kleine.

Einer vom International Council of Museums (Icom) im Frühjahr durchgeführten Umfrage zufolge beliefen sich die prognostizierten Einnahmenverluste allein aus dem US-Fundraising-Segment auf 46 Prozent. Trotz massiver Straffung der Programme hatte zeitgleich der Personalabbau begonnen. Auslaufende Verträge wurden landesweit nicht verlängert, freie Dienstnehmer gekündigt, Angestellte frühpensioniert oder beurlaubt.

Tore für immer schließen

Auf diese Maßnahmen griffen unzählige Institutionen zurück, auch in der Kulturhochburg New York angesiedelte wie das Whitney Museum of American Art oder das Metropolitan Museum of Art, bei dem sich die Personalkosten auf 65 Prozent des Jahresbudgets belaufen. Jene, die mit einem ausreichend hohen Kapitalstock ausgestattet sind, werden die nächsten Monate überstehen. Für die anderen wird die Situation zunehmend prekärer. Bereits im Mai befürchteten zehn Prozent der US-amerikanischen Museen, laut Icom, ihre Tore für immer zu schließen. Derzeit läuft eine Nachfolgeumfrage, deren Ergebnis noch vor Jahresende vorliegen soll.

Angesichts der Notlage entschärfte die AAMD ihr Reglement und erließ eine Reihe von Resolutionen, die den Museen eine Umschichtung ihrer Einnahmen aus Stiftungsgeldern und Spenden für die Deckung der Betriebskosten zumindest theoretisch ermöglichten. Praktisch hängt es jedoch von den Gesetzen des jeweiligen Bundesstaates und dem Segen der Donatoren oder des Kuratoriums ab.

Not-Versteigerungen

Zu den vom Verband ins Spiel gebrachten Lockerungen gehört auch eine, in der es um den Verkauf von Kunstwerken geht. Bislang mussten daraus lukrierte Einnahmen in Neuankäufe reinvestiert werden. Bis April 2022 dürfen solche, im Idealfall in Fonds geparkte Erlöse nun auch für die Erhaltung des Bestandes im weiteren Sinne genutzt werden. Dazu gehören Kosten für Forschung, Restaurierung, Ausstellungen oder auch Gehälter. Derzeit werden Kunstwerke versteigert und spielen Millionen von Dollar ein.

Erst Mittwochabend erzielte ein Gemälde von Claude Monet aus dem Bestand des Brooklyn Museums (New York) bei Sotheby’s 4,63 Millionen Dollar. Zwei Starlots wurden jedoch wenige Stunden vor der Auktion zurückgezogen: Je ein Werk von Clyfford Still und Brice Marden, für die das Baltimore Museum bis zu 33 Millionen Dollar erhofft hatte. Gegen den Verkauf formierte sich die Tage davor jedoch heftiger Widerstand: Aus Protest zogen zwei ehemalige Vorstandsvorsitzende schließlich ihre für den Kapitalstock des Museums zugesagten 50 Millionen Dollar zurück. (Olga Kronsteiner, 30.10.2020)