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Israel war das erste Land, das wegen der rasch steigenden Infektionszahlen im September einen zweiten Lockdown verhängte. Dies war von heftigen Protesten begleitet. Die verhängten Maßnahmen zeigten die gewünschte Wirkung.

Uns allen ist der letzte Lockdown im Frühjahr noch in schlechter Erinnerung. Einen zweiten würde die Gesellschaft nun schwer aushalten, hieß es im Sommer. Nun dürfte es aber doch dazu kommen.

Frage: Warum gehen viele europäische Länder wieder daran, Lockdowns oder Lockdown-ähnliche Maßnahmen zu beschließen?

Antwort: In den letzten Tagen sind die Zahlen nicht nur bei den bestätigten Neuinfektionen, sondern auch bei den Hospitalisierungen und bei Covid-19-Patienten in Intensivpflege nahezu europaweit extrem schnell angestiegen. In einigen Ländern droht eine Überlastung des Gesundheitssystems, die dazu führen würde, dass auch Patienten mit anderen Erkrankungen nicht mehr behandelt werden könnten. Aus diesem Grund wollen etliche Länder wie Deutschland oder Frankreich und demnächst wohl auch Österreich mit Lockdowns oder Lockdown-ähnlichen Maßnahmen das Infektionsgeschehen wieder in den Griff bekommen.

Frage: Wie steht die Weltgesundheitsorganisation zu Lockdowns?

Antwort: Kritisch. Bereits zu Beginn der Pandemie sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, dass Lockdowns nicht die erste Antwort auf die Ausbreitung des Virus seien. Vor allem für Länder mit einem großen Anteil von armen Menschen an der Bevölkerung sei ein kompletter Lockdown nicht zielführend, da diese Menschen auf ihre tägliche Arbeit angewiesen sind und in schlechten Wohnsituationen leben. Die Warnung wiederholte kürzlich David Nabarro, der WHO-Sonderbeauftragte für das Coronavirus. Die Weltgesundheitsorganisation befürworte Lockdowns nur dann, wenn sie Zeit verschaffen, um die Ressourcen im Land zu reorganisieren oder medizinisches Personal zu schützen, das ausgelaugt ist. Zu viele Beschränkungen würden den Menschen die Lebensgrundlage entziehen und zu Widerständen führen, so Nabarro.

Frage: Israel hat Mitte September als erstes Land einen zweiten strengen Lockdown verordnet. Was haben die Maßnahmen dort gebracht?

Antwort: Die Zahlen aus Israel bestätigen einmal mehr, dass ein Lockdown das Infektionsgeschehen schnell und massiv bremsen kann. Wurde Ende September noch der Rekordwert von 9.000 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet, sind es mittlerweile deutlich weniger als 1.000 Fälle täglich. Die Reproduktionszahl konnte unter den entscheidenden Wert 1 gedrückt werden.

Die restriktiven Maßnahmen, die unter anderem die Schließung von Schulen und nicht systemrelevanten Geschäften umfasste und die Bewegungsfreiheit der Menschen stark einschränkten, sorgten aber für zunehmenden Unmut in der Bevölkerung. Umfragen zeigen einen wachsenden Vertrauensverlust in das Krisenmanagement des Landes. Entscheidend für den weiteren Verlauf wird sein, wie die nun schrittweise stattfindende Aufhebung des Lockdowns verläuft.

Frage: Weiß man denn überhaupt, welche Maßnahmen helfen, die Infektionszahlen zu drücken?

Antwort: Darüber gibt es zahlreiche Studien. Für die jüngste Untersuchung, veröffentlicht im angesehenen Fachblatt "The Lancet Infectious Diseases", werteten Forscher die Daten von 131 Ländern aus, die im Frühjahr Corona-Maßnahmen ergriffen haben. Wie die Forscher zeigen, gingen Schulschließungen, Homeoffice, Veranstaltungsverbote und Ausgangssperren mit Rückgängen der Reproduktionszahl einher, also der mittleren Anzahl der Personen, die ein Infizierter ansteckt. Statistisch signifikant wirkten sich die Veranstaltungsverbote aus. Nach Lockerung der Maßnahmen erhöhte sich die Reproduktionszahl wieder – insbesondere durch die Wiederöffnung der Schulen und das Abhalten von Veranstaltungen mit mehr als zehn Teilnehmern.

Frage: Wie lange kann ein zweiter Lockdown dauern?

Antwort: Das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Etwa sieben Wochen lang war Österreich zu Beginn der Krise im Ausnahmezustand. Deutschland will seinen nun wieder verhängten De-facto-Lockdown in zwei Wochen evaluieren, um zu sehen, ob die Maßnahmen wirken. Ein Blick nach Südamerika zeigt, dass solch ein Ausnahmezustand sehr lange dauern kann. Argentinien war rund sieben Monate im Lockdown, Teile des Landes sind es immer noch. Doch die strengen Regeln haben offenbar nicht den erhofften Effekt gehabt. Denn waren es Anfang August noch weniger als 200.000 Fälle, sind die Zahlen bis jetzt auf mehr als 1,1 Millionen hochgeschnellt.

Frage: Wird es nach einem Lockdown womöglich noch einen dritten geben?

Antwort: Ausschließen kann man aktuell nur wenig. Eine der offenen Fragen ist natürlich, ab wann es Impfungen gibt und wie gut die wirken. Eine andere Frage ist, ob es in bestimmten Teilen Europas womöglich nicht vorher schon zu "leichten" Herdenimmunitätseffekten kommt. Laut einem neuen Bericht im angesehenen britischen Wirtschaftsmagazin "Economist" könnte es in Norditalien womöglich schon so weit sein, dass sich die Pandemie in bestimmten Städten nur mehr verlangsamt ausbreitet. (Fragen und Antworten: Bianca Blei, David Rennert, Klaus Taschwer, 30.10.2020)