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Auch Akhtar ist US-Staatsbürger, man sieht ihm aber seine Herkunft aus einem anderen Land an.

Foto: AP / Steve Helber

Die Stadt Scranton in Pennsylvania, gute zwei Autostunden nordwestlich von New York, war zuletzt häufig in den Medien, weil Joe Biden immer wieder darüber spricht. Er kam hier zur Welt, in einer Zeit, als es noch eine stolze Industriearbeiterschaft gab. Mit der Betonung seiner Herkunft aus Scranton spricht Biden vor allem zu Wählergruppen, die 2016 für Donald Trump gestimmt haben, sodass der Staat Pennsylvania entgegen den meisten Voraussagen nicht an Hillary Clinton ging.

Auch in diesem Jahr wird von diesem "battleground state" viel abhängen. In Ayad Akhtars Roman Homeland Elegien gibt es ein Kapitel, das "Erinnerungen an Scranton" heißt. Durch die Nominierung Joe Bidens bekommt es nun zusätzliche Brisanz, zumal auch Donald Trump in dem Buch eine Rolle spielt, sogar eine ziemlich wichtige.

Wegen einer Autopanne muss Akhtar einige Jahre nach 9/11 in Scranton eine Nacht verbringen. Er trifft dabei auf einen Polizisten, der sich als sehr hilfreich erweist. Trotzdem ist das Gespräch von vielen Missverständnissen geprägt, denn Akhtar ist zwar amerikanischer Staatsbürger, man sieht ihm aber seine Herkunft aus einem anderen Land an.

Seine Eltern kommen aus Pakistan, da die meisten Amerikaner damit aber vor allem Terrorismus verbinden, weicht Akhtar bei der Frage nach seinem Familienhintergrund aus und sagt Indien, in der Hoffnung, der Polizist würde dabei an Bollywood und gutes Essen denken und nicht an finstere Verbindungen zu den Taliban in Afghanistan.

9/11 und das Gestrüpp aus Vorurteilen

Um die Sache noch ein bisschen komplizierter zu machen, erwähnt er auch noch, dass sein Name eigentlich ägyptisch ist, worauf sich erweist, dass der Polizist viel über Mohammed Atta, den Anführer der Terroristen von 9/11, weiß, der aus Ägypten war. Obwohl Akhtar das Thema also gerade vermeiden wollte, ist er nun wieder genau dort, wo er sich so oft vorfindet: inmitten eines Gestrüpps aus Wissen und Vorurteilen, in dem Muslime in den USA leben.

Ein banales Gespräch über eine Zylinderkopfdichtung wird zu einem repräsentativen Dialog über das Zusammenleben in einer globalisierten Welt oder in einer Einwanderungsgesellschaft, in der Menschen aus allen Teilen der Welt eine neue Heimat finden, aber die alte nicht vergessen können.

Ayard Akhtar schreibt mit seinen "Homeland Ellegies" eine Geschichte der US-Gegenwart.
Foto: Vincent Tullo

Ayad Akhtar ist mit Homeland Elegien zu einer der bedeutendsten Stimmen des muslimischen Amerika geworden und damit zu einem der wichtigsten Schriftsteller des Landes insgesamt.

Ursprünglich wurde er als Dramatiker bekannt. Sein Stück Geächtet (Disgraced) lief lange am Burgtheater, The Who and What hat das Akademietheater aktuell im Programm. In dem Gespräch mit dem Polizisten, das später noch interessante Echos im Buch hat, sieht man den versierten Dialogschreiber.

Beinahe könnte man dabei auch vergessen, dass Homeland Elegien ein Roman ist und keine Autobiografie. Denn die Figur, die Akhtar erzählen lässt, hat mit ihm selbst eine Menge gemeinsam: ein Schriftsteller mit einer weitverzweigten Familie, der in New York in anfangs bescheidenen Verhältnissen lebt.

Erst mit dem Auftreten eines Kapitalisten mit deutlich legendären Zügen wird klar, dass Akhtar nicht einfach nur von tatsächlichen Figuren erzählt, sondern dass er das tut, was eben die Kunst eines guten Romans ist: Er verdichtet, er typisiert, und er sucht im Detail das größere Ganze.

Dieser Riaz Rind ist auch Muslim, und er hat mit der amerikanischen Gesellschaft eine Rechnung offen, die er auf zynische Weise begleicht, indem er mit seiner Investmentfirma gegen die Finanzinstrumente wettet, die er Kommunen andreht. Unübersehbar spielt Akhtar hier auf Finanzskandale an, die schließlich in die große Krise von 2008 mündeten.

Der Vorbote von Trump

Sein Roman überzeugt insgesamt als eine Geschichte der Gegenwart. Er lässt sie Ende der 1970er-Jahre beginnen, kurz vor der Präsidentschaft Ronald Reagans, des Vorboten von Donald Trump. Es war auch die Zeit der Revolution im Iran, der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran, eines heute weitgehend vergessenen Anschlags auf die Große Moschee in Mekka und vor allem auch des Einmarschs der Sowjetunion in Afghanistan.

Damals wurden die Grundlagen für den großen Wendepunkt von 9/11 gelegt, das Ereignis, das "uns (Muslime) für mindestens eine Generation aller Aussichten in diesem Land beraubt hat".

Akhtar schreibt das, obwohl er selbst keineswegs gläubig ist. Irgendwann möchte er oder jedenfalls der Erzähler des Romans aufschreiben, wie er seinen Kinderglauben verloren hat. "Ich werde das ohne Bosheit tun, und doch werde ich die Veröffentlichung vielleicht nicht überleben."

Er spielt damit auf die Fatwa gegen Salman Rushdie an, dessen Roman Die satanischen Verse ihm drei Tage beschert haben, "die in meinem Leben als Leser einzigartig waren". Auch das ist eine der Folgen von 1979: Der Islam kann mit Kritik schlechter umgehen, selbst liberale Menschen sehen den Propheten schnell einmal beleidigt.

Der amerikanische Traum

Im Grunde beschreibt Akhtar einen parallel verlaufenden Prozess, mit dem er auch zwei wesentliche Aspekte der amerikanischen Politik zusammenfasst: die zunehmende (Re-)Kulturalisierung in Amerika und die exzessive Finanzialisierung, die Figuren wie Donald Trump erst möglich gemacht hat.

Am Beispiel seines Vaters, eines Herzspezialisten, finden die beiden Stränge zusammen. Akhtars Vater glaubt an den amerikanischen Traum. Er versteht darunter eine Möglichkeit, zu Reichtum zu kommen. Dass er Trump verehrt, hat auch etwas mit einem Protest dagegen zu tun, wie sich die pakistanisch-amerikanische Familie zunehmend wieder stärker den eigenen Wurzeln zuwendet und zum Teil auch nach Pakistan zurückkehrt.

Es hat etwas von einer großen Saga, wie Akhtar hier mit Szenen in Peschawar oder Abbottabad (wo Osama Bin Laden bis 2010 versteckt war) seine Familie in Konflikten verwurzelt, die bis in das Zentrum des Kolonialismus zurückführen. Pakistan ist ja als Staat ein Resultat der britischen Herrschaft, die unter anderem Hindus gegen Muslime ausspielte, also auch schon Kulturalisierung als Machtstrategie einsetzte.

Theoretiker und Intellektuelle

Ayad Akhtar, "Homeland Elegien". Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. 24,– Euro / 464 Seiten. Claasen-Verlag, 2020
Cover: Claassen

Die Hauptfigur von Homeland Elegien profitiert schließlich an einem markanten Punkt von den Prozessen, die das Buch kritisiert: Akhtar oder sein fiktiver Vertreter wird zu einem "neoliberalen Höfling", er trinkt extravagante Whiskeys, hat bewusstseinsverändernden Sex, aber auch den öden Sex eines Mannes, dem sich viele Frauen anbieten.

Er beschäftigt sich mit Traumdeutung und Astrologie, und auch Theoretiker und Intellektuelle tauchen immer wieder auf, dar unter so interessante Figuren wie der tunesisch-jüdische Soziologe Albert Memmi, der deutsche Zivilisationsforscher Norbert Elias und Edward Said, der "unsere Bibel" geschrieben hat: Gemeint ist Orientalismus, ein Klassiker der Kulturtheorie über die abendländische Projektion eines Orients.

Ayad Akhtar schreibt also autofiktional, essayistisch, dabei immer mit der lockeren Eleganz einer gesprächsweise ausgetauschten Geschichte. Wie nebenbei löst er damit ein, was im Literaturbetrieb lange Zeit eine Spezialität weißer Männer war: Er schreibt einen großen amerikanischen Roman.

Allerdings im Zeichen einer Erfahrung, die er seine "Scranton-Offenbarung" nennt: "Ich würde aufhören, so zu tun, als fühlte ich mich als Amerikaner." (Bert Rebhandl, ALBUM, 31.10.2020)