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Wenn es blöd hergeht, fällt die Entscheidung über das Wahlergebnis erst nach Monaten am Supreme Court.

Foto: AP / Evan Vucci

"It ain’t over until the fat lady sings", die Sache ist nicht zu Ende, ehe die fette Lady singt. Diese Redewendung aus dem amerikanischen Englisch, eine Entsprechung zum deutschen Tag, den man "nicht vor dem Abend" loben soll, beruht auf der feinen Beobachtung, dass Opernaufführungen gelegentlich erst dann in die Zielgerade gehen, wenn eine dralle Sopranistin zur Schlussarie ansetzt.

Für alle Verächter klassischer Musik, die es versehentlich in den Ring des Nibelungen verschlagen hat, ist dies eine Warnung, sich nicht zu früh aufs Ende zu freuen und sein Sitzfleisch mit Durchhalteparolen bei Laune zu halten.

622 Pensionisten in Florida

Nicht zu früh freuen sollten sich auch all jene, die fix damit rechnen, dass der nächste Potus Joe Biden heißt. Eine Story von naivem Umfragevertrauen und nachfolgendem Aus-allen-Wolken-Fallen haben wir bereits 2016 erlebt. Daher schmücken die viferen der Prognostiker ihre Vorhersagen stets mit dem Vermerk, ein Sieg Trumps sei unwahrscheinlich, aber keineswegs ausgeschlossen.

Zur Konfusion trägt das erratische US-Wahlsystem bei, bei dem es vielleicht irgendwann entscheidend darauf ankommt, ob 622 Pensionisten in Orlando, Florida, ihre Stimme rechtzeitig abgegeben haben oder wegen eines Zipperleins zu Hause geblieben sind.

Nicht genug damit. Wenn es blöd hergeht, fällt die Entscheidung über das Wahlergebnis erst nach Monaten am Supreme Court. Auch das hat man schon erlebt, anno 2000 beim Match Bush – Gore, nur mit dem Unterschied, dass damals keine Amy Coney Barrett im Höchstgericht saß, eine Richterin, gegen die Papst Franziskus wirkt wie ein Hippie. Das Einzige, was sich also mit Gewissheit sagen lässt, ist, dass Trump die Präsidentschaftswahl am kommenden Dienstag gewinnt oder nicht gewinnt.

Wenn er sie nicht gewinnt, wird die Welt eine Einbuße an Witz erleiden. Nicht deshalb, weil Trump so witzig wäre, sondern weil seine Gegner in der Schlussphase des Wahlkampfs auf Twitter zur Hochform aufgelaufen sind und vielfach gezeigt haben, dass Skepsis und Respektlosigkeit gegenüber anmaßenden Machthabern die Sache liberaler und linker Demokraten ist, nicht die hurra patriotischer MAGA-Schreier. Wer von den beiden bei den Wahlen siegen wird? Warten wir auf den Auftritt der fetten Lady, damit wir sehen, wie es weitergeht. (Christoph Winder, 31.10.2020)