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Wegweiser hinaus aus dem Rassismus: Ibram X. Kendi.

Foto: AP / Jeff Watts / American University

Biologie. Ethnie. Körper und Körperlichkeit. Kultur. Verhalten. Hautfarbe. Raum. Klasse. All das bündelt und verknotet sich zu: Rassismus.

Treffend ist Rassismus als Virus der Verachtung beschrieben worden, als Krebsgeschwür. "Rassistische Vorstellungen bewirken, dass People of Color sich selbst weniger positiv sehen, was sie wiederum anfällig für rassistische Vorstellungen macht. Rassistische Vorstellungen vermitteln weißen Menschen ein positiveres Selbstwertgefühl, weshalb sie sich wiederum zu rassistischen Vorstellungen hingezogen fühlen." Was Ibram X. Kendi hier formuliert, klingt überzeugend wie eingängig.

Kendi war noch auf der Highschool gehobener Durchschnitt, fiel im Universitätsstudium durch Brillanz auf, startete durch und machte nach der Promotion 2010 in Windeseile Karriere. Mit 35 war er Professor an der American University in Washington, D.C., rief dort ein eigenes Forschungsinstitut ins Leben und ist seit diesem Sommer Ordinarius an der Boston University und steht dort dem Center for Antiracist Research vor.

Fantasyland Trumplandia

2016 analysierte er in Gebrandmarkt, einem auch im Wortsinn gewichtigen Band, profund die Geschichte des Rassismus in Amerika zwischen den ersten Weißen, die in der Neuen Welt anlandeten, und dem Fantasyland Trumplandia. Nun zeichnet er in 18 Kapiteln – von Definition über Macht zu Kultur, Raum oder Sexualität – ein Bild des Rassismus auch anhand seiner eigenen Biografie nach.

Geboren wurde Kendi 1983 in eine afroamerikanische Mittelschichtsfamilie, ist also ein Kind der Jahre der Reagan-Administration. Erst, schreibt er, zweigte er in den Rassismus gegen Schwarze ab, um dann in Rassismus gegen Weiße abzubiegen und schließlich den Prozess der Selbst- und Bewusstseinsentwicklung abzuschließen und Antirassist zu sein.

"Internalisierter Rassismus ist das wahre Verbrechen, das Schwarze Menschen gegen Schwarze Menschen begehen." Die dominant weiße Kultur ist manipulativ. Menschen werden als das Problem gesehen und nicht die Politik, die diese Menschen täuscht.

Wie Kendi pointiert ausführt: Leugnen ist der Herzschlag des Rassismus, der quer durch alle Ideologien und Nationen pulsiert. Das Gegenteil von rassistisch? Nein, eben nicht "nichtrassistisch" ("Ich bin kein Rassist!"). Sondern: "antirassistisch" – daher auch der englische Buchtitel, auf dessen Übersetzung der deutsche Verlag verzichtete.

Nichtrassistisch, so Kendis Argumentation, signalisiert: Neutralität. Daher wird diese Selbsteinstufung als linguistischer Trick gern von weißen Suprematisten und "bürgerlichen" Rassisten verwendet. Es gibt bei diesem Thema kein Entweder-oder. "Entweder glaubt man, Probleme seien in bestimmten Gruppen veranlagt, und ist damit ein Rassist, oder man verortet die Ursachen der Probleme in den Machtverhältnissen und der Politik und ist damit Antirassist."

Rassistische Passivität

Das Erste bedeutet, eine systematische Ungleichbehandlung aufgrund unterschiedlicher Hautpigmentierung besteht weiter. Nur als Antirassist wendet man sich aktiv wider Ungleichbehandlung. Auch "Farbenblindheit" gegenüber Persons of Color ist, so Kendis Verdikt, Rassismus, ein gütig verschleierter. Es ist rassistische Passivität. Nur Antirassisten verwerfen noch den leisesten Anhauch von Hierarchie, von Oben-und-Unten-Zuweisungen zwischen Ethnien.

Was also tun? Da bleibt Kendi im Vagen. Er dringt auf so etwas wie Volksbildnerei, auf Generalpädagogik, "Teams" sollen Rassismus detektieren, aufspüren, bekämpfen. Wie aber soll das in der Praxis aussehen? Antirassistische Garden aufstellen? Liberalität durch wohlmeinenden Totalitarismus austauschen? Da merkt man, dass sein Buch stark der aufgeheizt antizivilen Debattenunkultur der USA entstammt. Von Amerika direkt auf die Weltsituation zu schließen, wagt Kendi – und ist unbefriedigend.

Kein geschmeidiger Erzähler

Er ist auch nicht durchgehend ein geschmeidiger Erzähler. Manchmal verrutscht ihm ein Bild, mal eine Formulierung. Der großen Schule suggestiv autobiografischen Erzählens, gerade in den USA subtil gehandhabt, will man ihn auch nicht recht zuschlagen, nicht weniges kommt etwas steif daher.

Alina Schmidt gab sich Mühe, den Text in politisch korrektes Deutsch zu übertragen. Dass Kendi "schwarz" durchgehend mit großem Anfangsbuchstaben schreibt, auch dort, wo es sich grammatikalisch um ein Adjektiv handelt, ist noch das am wenigsten Auffällige; auch nicht, dass er "weiß" an jeder Stelle kursiv hervorhebt. Dennoch – oder deshalb? – klingt es nicht nur nicht elegant, sondern es liest sich an nicht wenigen Stellen wie eine Parodie, jemandem in den Mund gelegt, der digitales Denglisch-Rotwelsch von sich gibt.

Ziemlich zu Anfang liest man etwa den holprigen Satz: "Mir war nicht klar, dass man, wenn man eine minderwertige Eigenschaft einer racial Gruppe nennt, eine rassistische Vorstellung äußert." Solche debakulösen Sätze hat dieses anregende Buch nicht verdient. (Alexander Kluy, ALBUM; 31.10.2020)