Sag’s durch die Kappe: Statt "Make America great again" hat sich der Demontrant auf der "Together against Trump"-Demonstration im Juni 2020 in Manchester, UK für eine andere Message entschieden.

Foto: Imago / ZUMA / Joel Goodman

Im März 2019 saßen meine schwangere Freundin und ich an einem langen, gediegenen Holztisch in einer Anwaltskanzlei in Toledo, Ohio. Die Fahrt durch die Stadt war trostlos gewesen. Kaputte Straßen, bröckelnde und vernagelte Gebäude, die einst blühende Stadt eine kleine Version von Detroit. Mitten im Rust Belt, Leerstände, Verfall, viele Arme und Obdachlose, die auffällig oft schwarz waren.

Worum geht’s, fragte der Anwalt. Ich öffnete die Fotogalerie meines Mobiltelefons und schob es ihm über den Tisch. Er blickte kurz darauf, zog die Brauen hoch und sagte: I’m already worried. Auf dem Bild war eine grüne Basecap mit dem weißen Schriftzug "MEGA" zu sehen.

Eine grüne Basecap mit dem weißen Schriftzug "MEGA" steht für: Make Earth Green Again.

Es war das Frühjahrssemester an der Bowling Green State University in Ohio, klirrend kalt, ich schrieb rastlos an meinem Roman Der Präsident, weil ich wusste, dass ich, einmal zurück in Wien, dazu keine Zeit mehr hätte. Die grüne Mütze tauchte beim Schreiben auf, als Jay Immer, burgenländisches Migrantenkind und Doppelgänger Ronald Reagans, in den 1980ern mit dem Umweltaktivisten Rafe Pomerance und dem Klimaforscher und Nasa-Wissenschafter James Hansen überlegte, wie man die Frage des Klimawandels am besten an die Öffentlichkeit bringen könnte. Die Zeit schien reif zu sein.

Make Earth Green Again

Ronald Reagan hatte seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf am Labor Day 1980 in New Jersey gestartet, einem traditionell demokratischen Bezirk. Er hatte die Leistungen der Immigranten gelobt, die hart für sich und die Vereinigten Staaten gearbeitet hätten, die Freiheitsstatue im Rücken. Dann hatte er jene angesprochen, die genug vom demokratischen Klüngel hätten, der Washington regiere, ehe er zum Schluss gekommen war: We will make America great again.

In der Cafeteria der Universität fanden wir das Akronym für unsere grüne Mütze. Es entsprang einem Gespräch mit Freunden, die vier Jahre zuvor, als ich zum ersten Mal ein Semester in Bowling Green verbracht hatte, angesichts der sich herauskristallisierenden Liste an Präsidentschaftskandidaten vor Ted Cruz gewarnt hatten.

Der sei wirklichgefährlich; der wahrscheinlichste Kandidat. Vielleicht Marco Rubio. Dann hatte ein Clown seine Kandidatur verkündet, worüber alle gelacht hatten — im Frühjahr 2015 hatte dem Clown niemand auch nur die geringste Chance gegeben, Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden.

In meiner Geschichte ist es Jay Immer, Ronald Reagans Doppelgänger, der Mitte der 1980er angesichts des nunmehr belegbaren Klimawandels Reagans Slogan umdreht: Make Earth Green Again. Trump hat folglich nicht nur Reagans Slogan geklaut, sondern auch Jay Immers Mütze umgefärbt, die von Lobbyisten, korrupten Wissenschaftern und Gesetzgebern, die von den großen erdzerstörenden Industrien bezahlt wurden, aus der Öffentlichkeit gedrängt wurde, bis es schließlich möglich war, eine wissenschaftliche Tatsache zur politischen Glaubensfrage umzudeuten.

Wir durchforsteten alle angemeldeten Patente, fanden etwas Ähnliches, lernten aber auch, dass in den USA eine Trademark erst dann effektiv geschützt werden kann, wenn es das Produkt auch gibt.

Grüne Mützen, soziale Medien

Schon sahen wir überall grüne Mützen mit dem weißen MEGA-Schriftzug gegen die roten MAGA-Mützen ins Feld ziehen. Unsere Idee war, sie den Leuten um das Sunrise Movement, um Alexandria Ocasio-Cortez und Rhiana Gunn-Wright anzubieten, um den Green New Deal zu propagieren. Wir fragten uns, wie man die Mützen produzieren könne, ohne sie um die halbe Welt schiffen und Menschen sie für Hungerlöhne anfertigen zu lassen.

Wir suchten nach Projekten, denen die Einnahmen aus dem Verkauf zufließen sollten. Wir sahen die grünen Mützen auf Profilbildern in den sozialen Medien, sahen sie eine soziale Bewegung befeuern und eine progressive Kandidatin unterstützen — und vor allem in die Pflicht nehmen. Immerhin war in den dreißig Jahren seit Reagans Abtritt mehr CO2 in die Atmosphäre gepumpt worden als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor.

Der Anwalt meinte aber nicht, wir könnten Copyrightprobleme bekommen. Er warnte uns vor dem Präsidenten: Trump und den Seinen sei alles zuzutrauen. Meine Freundin und ich blickten einander ungläubig an. Wir hatten alles durchgespielt. Keine Sekunde hatten wir daran gedacht, dass der Präsident der Vereinigten Staaten gegen unsere Idee vorgehen könnte. Oder dass jemand auch nur daran denken könnte.

Verwechslungsgefahr, meinte der Anwalt. Aber die grüne Mütze, beteuerten wir, bedeute doch das genaue Gegenteil. Der Anwalt verzichtete auf sein Honorar. Das Geld für die Anmeldung eines Patents, das vielleicht abgelehnt werde, könnten wir bestimmt anderweitig besser gebrauchen.

Agitieren gegen den Sozialismus

Ein paar Tage später stand in der Aula der Universität ein Infotisch der Students for Trump. Eine junge blonde Frau und ein junger pickeliger Mann saßen dahinter, rote MAGA-Mützen auf dem Kopf. Ihr Propagandamaterial bestand aus zwei Gimmicks: ein Anstecker, auf dem #againstsocialism stand, und ein Sticker, auf dem "This laptop was brought to you by capitalism" zu lesen war.

Das traurige Gespräch mit der jungen Frau – ihr Kollege hatte sich hinter seinem Mobiltelefon versteckt – endete damit, dass sie nicht länger mit mir sprechen wollte, weil ich sie auf die Palme zu bringen versuche. Ich hatte bloß wissen wollen, was sie unter Sozialismus verstehe und was daran schlecht sei.

Zu dieser Zeit zeigte eine Gallup-Umfrage, dass unter jungen Menschen in den USA die Zustimmung zu "Sozialismus" etwas höher sei als zu "Kapitalismus". Unter all den irrlichternden Tweets, der Propaganda und den Widerlichkeiten Donald Trumps gibt es eine konstante Beschwörungsformel: America will never be a socialist country. Die radikale Linke wolle, so ein neuer Propagandafilm über den Retter Trump, die Vereinigten Staaten des Sozialismus errichten.

Sozialismus ist dabei natürlich immer mit der Sowjetunion, Stalin, dem Gulag, dem autoritären Staat und der Knechtschaft verbunden. Neben all dem Schielen auf Zielgruppen und Untergruppen von Untergruppen der Zielgruppen, die jeweils mit dem geködert werden sollen, was sie für Donald Trump stimmen lassen könnte, sind die Angst vor dem und das Agitieren gegen den Sozialismus der wahre Kern der Trump’schen Politik.

Anders leben, anders produzieren

Wenn Trump vom Sozialismus und der radikalen Linken spricht, folgt augenblicklich das Lächerlichmachen der verrückten Idee vom Green New Deal. Während dieser die Möglichkeit wäre, eine andere Politik, ein anderes Leben und ein anderes Produzieren anzustoßen, wissen Trump und seine Verbündeten genau, dass eine Klimapolitik, die den Planeten noch retten könnte, im Kapitalismus unmöglich ist.

Insofern haben sie mit ihren Warnungen und Beschwörungen recht. Anders als die liberalen Propheten eines grünen Kapitalismus wissen sie, dass im Kapitalismus Rendite erzielt werden muss und Ressourcen ausgebeutet werden müssen – und dass alle sozialdemokratischen Regulierungen und Übergangsfristen viel zu wenig sind, um dem gerecht zu werden, was selbst moderaten Prognosen zur Erderwärmung nach getan werden müsste.

Das einzige Jahr, in dem die globalen Emissionen leicht unter dem Wert des Vorjahres lagen, war 2009. Diese Folge der Finanzkrise wurde mit globalen Konjunkturpaketen im Folgejahr beeindruckend wettgemacht. Im ersten Halbjahr 2020 sanken die globalen Emissionen um historische acht Prozent. Was Trump und viele andere als radikal verstehen, ist bloß vernünftig.

Viel zu zahnlos

Die großen erdzerstörenden Industrien müssen vergesellschaftet werden, um zu beratschlagen, was wie warum produziert werden soll. Mit dem ungeheuren Reichtum dieser Unternehmen könnte der Verlust an Arbeitsplätzen, die an der Erhitzung des Klimas werken, ausgeglichen werden: mit einem bedingungslosen Grundeinkommen und der Freiheit, nicht jeden noch so schlecht bezahlten Job annehmen zu müssen.

Gleich nach Amtsantritt erließ Trump executive orders, welche die ohnehin laxen ökologischen Regulierungen der Obama-Administration zurücknahmen. Biden will, sollte er Präsident werden, dem Pariser Abkommen wieder beitreten, aus dem Trump einen Tag nach der Wahl austreten will. Aber selbst dieses ist viel zu zahnlos und wird von kaum einem Unterzeichnerstaat eingehalten.

Wenn bloß die Teufel, die Trump an die Wand malt – Biden als Marionette der radikalen Linken, das Heraufziehen einer anderen Form der Produktion, um der Klimakrise gegenzusteuern –, zu Leben erwachten! Sie könnten sich als Engel erweisen. (Clemens Berger, 1.11.2020)