Sie plant, baut, lehrt und forscht, und nicht nur das: Gabu Heindl ist seit Jahren eine der politisch aktivsten Architektinnen in Wien, die sich in zahlreichen Debatten zu Wort meldet. Jetzt hat sie Forschung und Haltung in einem Buch mit dem programmatischen Titel Stadtkonflikte gebündelt.

STANDARD: Ihr Buch teilt sich in die Kapitel Politik, Planung und Popular Agency. Um welche Konflikte geht es dabei?

Heindl: Es geht um Konflikte in der Stadtplanung, die bestehen, und solche, die geführt werden müssen. Konflikte um Wohnen, öffentlichen Raum und Teilhabe. Die drei Kapitel sind eine bewusste Anspielung auf den Begriff "PPP" (Public Private Partnerships), der für die Kapitalisierung von Stadtraum, die im Zusammenhang zum Rechtsruck steht, den wir zurzeit erleben. Im Neoliberalismus wird ja behauptet, es gebe keine Konflikte und keine Alternative. Dem setze ich entgegen: Doch, es gibt immer eine Alternative.

STANDARD: Auch in der Ära der rot-grünen Wiener Stadtplanung wurden Public Private Partnerships eingeführt: die städtebaulichen Verträge zwischen Stadt und Investoren.

Heindl: Diese Verträge, bei denen die Investoren für Grundstück und Widmung einen Beitrag zur Infrastruktur erbringen sollen, sind quasi situationselastisch – und nicht öffentlich. Das Problem ist auch, dass sie an den Ort gebunden sind, an dem der Investor baut. Man baut drei Hochhäuser und überplattet dafür den Donaukanal mit einem Park. Das kostet den Investor Geld, aber der Park macht auch sein Gebäude lukrativer. Würde man das in Form einer kommunalen Abgabe regeln, könnte die Stadt sagen: Mach dir deinen Park selbst, aber wir verwenden das Steuergeld an einem Ort, an dem niemand investiert. Oft hat man den Eindruck, dass man noch dankbar sein muss, dass man einen Park "geschenkt" bekommt. Man kann das fast nur als Neofeudalisierung bezeichnen. Mit SPÖ/Neos könnte wiederum die Liberalisierung der Wohnungsvorsorge und allgemein der Ausverkauf öffentlicher Güter in Wien forciert werden – dann feiern wir eher 40 Jahre Thatcher, also Sozialstaats-Demontage, als 100 Jahre Rotes Wien.

STANDARD: Das Rote Wien kommt ebenfalls im Buch vor, und sie haben esIhrer ehemaligen Nachbarin, der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, gewidmet.

Heindl: Ja, mir geht es um ein kritisches Erbe des Roten Wien, ohne nostalgische Brille. Ich frage mich: Was steckte da an gleichheitlicher Utopie drinnen? Aber auch ganz pragmatisch: Was wurde realisiert? Und was davon kommt uns heute wie eine Utopie vor? Nicht nur im Wohnbau und der Infrastruktur, von denen die Stadt heute noch profitiert, sondern auch in der politischen Haltung, die sich in den Fassadeninschriften des Roten Wien zeigt. "Erbaut von der Gemeinde Wien aus den Mitteln der Wohnbausteuer". Das ist radikal, denn wer traut sich heute, eine Umverteilungssteuer zu erfinden und das auch noch stolz auf die Häuser zu schreiben? Was wäre das heute für eine Steuer, und was wären das heute und morgen für Häuser?

Roter Gemeindebau trifft Neoliberalismus: Sieht so die privatisierte Zukunft des Roten Wien aus?
Foto: twitter.com/chaosilog

STANDARD: Zurück zu den Konflikten: Man hat oft den Eindruck, dass in Wien eine gewisse Harmoniesucht herrscht und Bürgerbeteiligung oft eher ein Feigenblatt ist. Sie nennen das im Buch "Particitainment". Ist Wien zu konfliktscheu?

Heindl: Ich glaube nicht, dass das nur ein Wiener Phänomen ist. Dieses "genug gestritten, vielleicht finden wir einen schönen Kompromiss, es können doch alle irgendwie etwas davon haben" ist ein post-politisches Phänomen. Und es stimmt eben nicht, dass alle etwas davon haben! In Zukunft wird es einen wirklichen Streit geben um die Verteilung von Raum, und es wird ihn auch geben, weil der Raum so ungerecht verteilt ist. Corona hat das schon gezeigt: Die, die es sich leisten können, sagen: Es heißt, wir brauchen jetzt einen Garten, also gut, dann kaufe ich mir einen. Die anderen in der Kleinstwohnung ohne Balkon sind die Verlierer. Man muss sich auch trauen, zu sagen: Wenn wir hier Gerechtigkeit wollen, werden manche, die sehr viel haben, am Ende etwas weniger haben als jetzt. Anders wird diese Verteilung nicht stattfinden. Das ist durchaus eine Konfliktansage.

STANDARD: Als Architektin und Theoretikerin nähern Sie sich dem Thema Stadtkonflikte von beiden Seiten. Kann man Konflikte überhaupt planen, und wenn ja, wie?

Heindl: Planung ist natürlich per se etwas Ordnendes, und dieser Widerspruch lässt sich nie ganz auflösen. Man kann Konflikte nicht planen, aber man in Konfliktkonstellationen und in Bündnisse mit sozialen Bewegungen und politischen Initiativen eintreten. Ich plädiere für eine Haltung, die ich "strittige Setzung" nenne. Darin ist der Konflikt schon enthalten. Konflikte sind da, und man muss sich zu ihnen positionieren, auch als Architektin. Das kann bedeuten, dass man der Forderung eines potenziellen Auftrags widerspricht, oder dass man sich auf die Seite einer Streitpartei stellt und sie mit der eigenen Expertise unterstützt. Aber ich habe da auch keine Allheilmethode. Man macht sich immer die Hände schmutzig. Es gibt kein Schwarz und Weiß, keine Ideal-Situationen – aber man kann trotzdem nicht "draußen" bleiben.

STANDARD: Architekten und Theoretiker beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten mit der Frage, wie man fair planen kann. Welche dieser Ideen könnte man heute wieder aufgreifen und verwenden?

Gabu Heindl ist Architektin, Stadtplanerin und Aktivistin in Wien. Studium in Wien, Tokio und Princeton, Doktorat in Philosophie. Sie führt das Büro GABU Heindl Architektur in Wien und lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien, an der Architectural Association London und ist Visiting Professor an der University of Sheffield. Ihr Buch "Stadtkonflikte – Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung" erschien soeben im Mandelbaum-Verlag.
Foto: Gabu Heindl

Heindl: Formen von partizipativer Planung sind schon seit den 1970er Jahren immer wieder versucht worden. Das Problem bei diesen Beteiligungsprozessen ist, dass nie alle da sind, die da sein sollten. Nicht die kommende Generation, nicht die zukünftigen Bewohner, und nicht die, die keine Zeit und keine Ressourcen haben, abends in einer Infoveranstaltung oder einer Baugruppe mitzudiskutieren. Aber es gibt Methoden, die sicherstellen, dass auch diese Leute später Räume vorfinden, in denen sie ihren Vorlieben und Interessen nachgehen können.

STANDARD: Wie kann dieses Freihalten funktionieren, wenn der Raum und der Grund und Boden so viel wert sind?

Heindl: Damit ein städtischer Raum offenbleibt, muss er minimal besetzt sein. Sonst sagt der Investor: Da ist ja gar nix außer Hundstrümmerl. Er oder sie stellt also rhetorisch einen Wertverlust des Orts her, um dann als Retter der Situation aufzutreten. Um so eine Besetzung durch öffentliche Interessen geht es bei der Donaukanalpartitur, die ich 2011 mit Susan Kraupp für die Stadt Wien geplant habe, und bei der wir mehr öffentliche Infrastruktur geplant und zugleich Flächen festgelegt haben, die von kommerzieller Nutzung frei bleiben sollten.

STANDARD: Man hat in letzter Zeit oft den Satz "We have had enough of experts" gehört. Welche Rolle spielt die Expertise von Architekten und Planern noch, wenn es nur noch um das Freilassen geht?

Heindl: Wenn ich als Planerin meine Expertise nicht in Form einer arroganten Masterplan-Geste einbringe, sondern Hierarchie-Effekte mit bedenke, die durch Experten-Status entstehen, dann ist schon einiges getan. Architektinnen brauchen sich nicht dafür zu schämen, dass sie Expertinnen sind, sie müssen aber Platz lassen und Andockpunkte für Allianzen mit anderen Arten von Wissen und mit Initiativen, die auf gerechtere Verhältnisse in der Stadt hinarbeiten. Ich verwende dafür den Begriff "just architecture" im doppelten Wortsinn: Es geht um gerechte Architektur, aber nicht als große Meister-Disziplin, denn es ist ja quasi nur Architektur. It's just architecture. (Maik Novotny, 1.11.2020)