Die gestrige Pressekonferenz war mehrfach bemerkenswert. Erstens, weil sie zwar als "Pressekonferenz der Bundesregierung zur aktuellen Corona-Situation in Österreich" angekündigt war, aber wieder nur zwei männliche Mitglieder der Bundesregierung, unterstützt von zwei männlichen Experten, sprachen. Damit ist die Krisen-PR in Österreich, wenn es wichtig ist, immer noch so gut wie ausschließlich männlich. Das, obwohl auch in Österreich inzwischen nachgewiesen ist, dass die Hauptbetroffenen der Krise und ihrer rechtlichen Bewältigung Frauen sind:

Department of Innovation and Digitalisation in Law

Zweitens, weil uns angekündigt wurde, dass uns etwas angekündigt würde. Wir können die heutige Ruhe vor dem Sturm dazu nutzen zu überlegen, welche politischen und kommunikativen Gründe dieses Vorgehen nahelegen. Dazu will ich nicht weiter spekulieren.

Warten auf den Verordnungstext

Ich möchte in der Zwischenzeit auf etwas Anderes aufmerksam machen, woran wir uns, drittens, morgen erinnern können, wenn wir wieder auf den Verordnungstext werden warten müssen: Was im allgemeinen Chaos der letzten Tage nämlich ein wenig untergegangen ist, sind mehrere Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, auf die dieser am 29. Oktober in einer Pressemeldung aufmerksam gemacht hatte. Der VfGH hat in diesen Verfahren festgestellt, dass weitere Covid19-Maßnahmen in Verordnungsform gesetzwidrig waren.

Warum?

Foto: Nikolaus Forgó

"Es ist aus den Verordnungsakten nicht ersichtlich, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID-19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung zur Beibehaltung des Verbotes des Betretens von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe durch die Verordnungsnovelle BGBl. II 130/2020 geleitet haben." (VfGH V 405/2020-14)

"In dem [...] Verordnungsakt finden sich nun aber zu der hier in Rede stehenden Regelung, mit Ausnahme des ins Auge gefassten Verordnungstextes, überhaupt keine Bezugnahmen. Entscheidungsgrundlagen, Unterlagen oder Hinweise, die die Umstände der zu erlassenden Regelung betreffen, fehlen im Verordnungsakt gänzlich. Es ist aus dem vorgelegten Verordnungsakt nicht ersichtlich, welche Umstände den Verordnungsgeber bei
seiner Entscheidung [...]  geleitet haben" (VfGH V 392/2020-12).

"[Eine Verordnungsnorm] verstößt sohin gegen § 15 Epidemiegesetz 1950, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten,dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Bestimmung getroffenen Maßnahmen für unbedingt erforderlich gehalten hat." (VfGH V 428/2020-10).

Der VfGH referiert in den Entscheidungen recht umfangreich, wie der politische Willensbildungsprozess "im Akt" dokumentiert ist. Zum Beispiel so:

"In dem [...] vorgelegten Verwaltungsakt [...]  finden sich zunächst Mail-Korrespondenzen von Bediensteten des Ministeriums. [...] Auf den Stand oder mögliche Entwicklungsszenarien von COVID-19 bezugnehmende und die (in Aussicht genommenen) Maßnahmen dazu und zu den
sonstigen zu berücksichtigenden Interessen in Beziehung setzende Unterlagen oder Angaben finden sich nicht."

Verwaltungsprozesse zuverlässig abbilden

Es zeigt sich hier Vieles, vor allem auch, dass es in Österreich trotz Jahren der Einführung des elektronischen Akts immer noch kein digitalisiertes, durchgängig eingehaltenes, "revissionssicheres"  Dokumentenmanagementsystem gibt, mit dem sich politische Willensbildungsverhältnisse und sich daran anschließende Verwaltungsprozesse zuverlässig abbilden lassen. Wir haben uns alle an (das Nachvollziehen von) SMS, WhatsApp, E-Mail gewöhnt, mit all den Lücken und Problemen, die das bringt - von geschredderten Fesplatten bis zu beschlagnahmten Handies, trotz DSGVO und trotz Snowden.

Der VfGH erinnert uns aber zu Recht: "Dass es damit [...] auch auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung ankommt, ist kein Selbstzweck. Auch in Situationen, die deswegen krisenhaft sind, weil für ihre Bewältigung entsprechende Routinen fehlen, und in denen der Verwaltung zur Abwehr der Gefahr gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu."

Es bestünde - im Lichte dessen, was morgen da angekündigt und am Wochenende in Verordnungsform kommen mag: heute (!) - Anlass zu überlegen, welche "bestimmte[n] Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation" hier gemeint sein könnten. Mehr oder weniger zufällig dokumentierte Telefonate, SMS, WhatsApp-Einträge und E-Mails reichen nicht. Auch und gerade nicht in Krisenzeiten. (Nikolaus Forgó, 30.10.2020)

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